Joseph von Eichendorffs "Das Marmorbild" ist eine Märchennovelle aus der Literaturepoche der Romantik. Der Dichter und Schriftsteller schrieb die Erzählung 1818. Ein Jahr später wurde sie erstmals veröffentlicht.
Eine Novelle ist eine kurze Erzählung, die sich geradlinig mit einem besonderen Ereignis auseinandersetzt.
Im Folgenden findest Du die Handlung in fünf Abschnitte unterteilt. Tatsächlich besteht aber die ganze Novelle aus einem Fließtext ohne Unterbrechungen.
Der junge Florio unternimmt eine Bildungsreise in die Stadt Lucca, in Italien. Auf dem Weg nach Lucca trifft der Edelmann auf den berühmten Sänger Fortunato.
Auf einem Fest am selben Abend verliebt sich Florio Hals über Kopf in die hübsche Federballspielerin Bianka.
Fortunato unterhält unterdessen die Festgäste mit einem bedeutsamen Lied über die Venus. Der zweite Teil des Liedes handelt von den Todesboten und untermalt das Auftreten des Ritters Donati, der nun das Geschehen betritt.
Die Stimmung der Gesellschaft wird unruhig und Florio erschreckt sich, denn der Ritter schient ihn genau zu kennen.
Florio, Donati und Fortunato reiten später gemeinsam weiter in Richtung Lucca. Donati muss umkehren, weil sein Pferd scheut.
Florio hat in der Nacht einen Traum, in dem er sich auf einem Schiff befindet, das von Sirenen versenkt wird. Die Sirenen sehen alle aus wie seine Angebetete, Bianka.
Weil er zu aufgewühlt ist, um zu schlafen, wandert Florio noch halb im Schlaf hinaus in die nächtliche Landschaft. Er singt dabei ein Lied über ein perfektes Frauenbild, dem auch die schöne Bianka nicht entsprechen kann.
Der Edelmann gelangt schließlich an einen Teich und entdeckt eine Marmorstatue der Göttin Venus. Zunächst ist er verzückt, aber dann blickt er in die „steinernen Augenhöhlen“ (S.17) der Venusstatue. Florio erschrickt davor, wie leblos und unheimlich ihr Gesicht plötzlich erscheint. Schlagartig flüchtet sich Florio zurück in die Herberge, seine Unterkunft für die Nacht.
Beim Frühstück erzählt Florio Fortunato von seinem Erlebnis. Der Sänger schüttelt Florios Geschichte aber nur heiter ab und rät ihm, den Tag zu genießen.
Florio geht das Marmorbild der schönen Göttin aber nicht aus dem Kopf. Also versucht er, erneut zu dem Weiher mit der Statue zu gelangen. Er kann den Park aber nicht mehr finden und gelangt stattdessen zu einem Buchenhain, in dessen Mitte eine singende Frau mit goldenem Haar steht. Sie sieht der Venusstatue sehr ähnlich und Florio beobachtet die Edelfrau völlig verzückt.
Florio trifft auf den Ritter Donati. Dieser bezeichnet die Schöne Unbekannte als seine Verwandte und sichert Florio zu, ein Treffen zu arrangieren.
Kurz darauf wird Florio auf den Landsitz von Pietro, Biankas Onkel, eingeladen. Es findet ein Maskenball statt. Dort übergibt ihm ein griechisch gekleidetes Mädchen eine Rose. Als das Mädchen seine Maske abnimmt, enthüllt es das leblose Gesicht der Venusstatue. Dann verschwindet sie.
Florio ist verwirrt und sucht Bianka, um sich zu ihr zu gesellen. Diese erzählt ihm, sie sei das als Griechin verkleidete Mädchen gewesen. Florio ist irritiert und verlässt die Feier. Bianka ist traurig, weil Florio, in den sie sich verliebt hat, sie zurückgelassen hat.
Der Ritter Donati lädt Florio ein, die Venus in ihrem Marmortempel zu besuchen. Florio nimmt die Einladung an.
Dort singt die schöne Frau ein Lied, das Florio in seinen Bann zieht. Er fleht zu Gott, dass er sich selbst nicht verlieren möge.
Dann verwandelt sich das Abbild der Göttin plötzlich in eine Schlange. Vor Schreck wirft Florio ein steinernes Bild um und die Venus erstarrt. Die Bilder an der Wand und die Statuen im Tempel scheinen dagegen zum Leben zu erwachen.
Florio rettet sich verängstigt in den Garten. Dort trifft er auf Fortunato, der friedlich Gitarre spielt.
Donati dagegen ist nicht mehr auffindbar und auch seine Villa scheint verschwunden zu sein. An ihrer Stelle findet Florio nur eine Hütte vor, die einem Gärtner gehört. Der Gärtner hält Florio für geistig verwirrt, als dieser sich nach Donati und seiner Villa erkundigt.
Florio fühlt sich, als wäre er aus einem schrecklichen Albtraum erwacht.
Florio beschließt, die Stadt Lucca zu verlassen. Vor den Toren der Stadt trifft er auf drei Reiter, die sich ihm anschließen: Fortunato, Pietro und einen Knaben.
Fortunato erzählt in einem Lied die Geschichte der Venus, deren Geist ruhelos Jünglinge in ihren Tempel locke, um sie zu verführen.
Unterwegs reiten die Reisenden an einer Ruine vorbei. Florio erkennt sie als den Marmortempel, in der er der Venus begegnet war. Erleichtert darüber, dass er das dunkle Spiel des Geistes erkannt hat, dankt er in einem Lied Gott.
Der vermeintliche Knabe entpuppt sich als Florios angebetete Bianka. Die beiden werden ein Paar und verloben sich kurze Zeit später.
Joseph von Eichendorff hat sich die Handlung für "Das Marmorbild" nicht komplett selbst ausgedacht, sondern hat sich stark von einer Gespenstergeschichte aus dem Sammelwerk “Größte Denkwürdigkeiten der Welt” inspirieren lassen. Es handelt sich bei der Spukgeschichte um das Werk des heute unbekannten Barockdichters E. G. Happel von 1687.
In fünf Kapiteln erzählt der Schriftsteller von den aufregenden Erlebnissen eines Reisenden bei seinem Aufenthalt im italienischen Lucca. Der Reisende wird von einer teuflischen Jungfrau magisch angezogen, kann sich aber knapp vor ihrem Zauber retten.
Die wichtigsten Figuren in "Das Marmorbild" sind neben dem Edelmann Florio die Venus, Bianka, Fortunato und Donati.
Die Novelle beginnt mit einer groben Beschreibung der Hauptfiguren. Als Schauplatz der Handlung wird die Stadt Lucca in Italien angegeben.
Aus der Beschreibung von Fortunato als Minnesänger und der Schilderung des Geschehens auf dem Fest lässt sich erahnen, dass die Novelle im Spätmittelalter spielt.
Die Handlung verläuft chronologisch und zeigt im Aufbau einige Merkmale eines klassischen Dramas:
Nachdem sich Florio vor der Venus rettet, reist die Ereigniskette allerdings ab: Florio verlässt Lucca und es bleibt unklar, wie die Geschichte endet. Im Gegensatz dazu hat ein klassisches Drama typischerweise eine geschlossene Form.
Wenn Du mehr über die Merkmale von Dramen wissen willst, dann lies gern unseren Artikel zum Thema Drama!
Joseph von Eichendorff bezeichnet "Das Marmorbild" als Märchennovelle. Eine Novelle ist eine kurze Erzählung, die jedoch länger ist als eine Kurzgeschichte. Eines ihrer zentralen Merkmale ist die sogenannte "unerhörte Begebenheit": Ein ungewöhnlicher Umstand. Diese unerhörte Begebenheit ist in "Das Marmorbild", dass eine zum Leben erwachte Venus-Statue einen jungen Edelmann verführt.
Ein weiteres Merkmal der Novelle ist ein einsträngiger Handlungsablauf, der auf ein bestimmtes Ziel hinführt. Auch dieses findet sich in Eichendorffs "Das Marmorbild" wieder: Die Handlung beschäftigt sich nur mit Florios Erlebnissen mit der Venus-Statue und geht nicht auf weitere Handlungsstränge ein.
Wegen dieser Geradlinigkeit der Handlung sind Novellen meist nicht sehr lang, auch das trifft hier zu. In vielen Ausgaben ist die Erzählung auf unter 50 Seiten abgedruckt worden.
"Das Marmorbild" erinnert insofern an ein Märchen, dass Ort und Zeit nicht näher bestimmt sind. Die Handlung spielt zwar in Lucca, könnte sich aber auch an einem anderen Ort abspielen: Die Eigenschaften der Stadt sind für die Handlung nicht wichtig. Die Zeit, in der die Handlung spielt, lässt sich im Mittelalter vermuten, ist aber auch nicht sicher.
Außerdem erinnern einige Formulierungen an die Erzählart von Märchen, so etwa der Anfangssatz "Es war ein schöner Sommerabend" (S.3) und der Schluss "Und so zogen die Glücklichen fröhlich [...] in das blühende Mailand hinunter" (S.46).
Die Handlung wird in "Das Marmorbild" aus der auktorialen Erzählperspektive dargestellt.
Der auktoriale Erzähler blickt von außen auf die Handlung. Er wird auch der "allwissende Erzähler" genannt: Er kennt alle Figuren und kann Einblicke in die Vergangenheit und Zukunft geben.
Dadurch, dass die Handlung aus einer Außenperspektive beschrieben wird, betrachten die Lesenden das Geschehen aus der Distanz. Die für das Werk wesentliche Spannung zwischen Illusion und Wirklichkeit wird durch diese Distanz aufgebaut. Denn würde Florio seine Geschichte selbst erzählen, wäre sie zu verwirrend, als dass man sie verstehen könnte.
Die auktoriale Erzählhaltung gibt Eichendorff außerdem die Möglichkeit, das Geschehen an ausschlaggebenden Stellen der Novelle zu kommentieren.
Wie in seiner Lyrik verwendet Eichendorff auch in "Das Marmorbild" Synästhesien.
Eine Synästhesie ist ein rhetorisches Stilmittel. Sie verbindet verschiedene Sinneseindrücke miteinander.
Schon in der Eingangsszene der Novelle findet sich eine solche Synästhesie. Dort ist vom „feinen Duft, der über der wunderschönen Landschaft … zitterte“ (S. 5) die Rede. Eichendorff vermischt hier den Eindruck über die Augen, also den Anblick von dem schönen Landschaftsbild, mit dem Sinneseindruck der Nase, die einen angenehmen Duft wahrnimmt.
"Das Marmorbild" ist ein typisch romantisches Werk. In der Handlung werden charakteristische Motive der Romantik aufgegriffen, so etwa Naturverbundenheit und der Kontrast zwischen Tag und Nacht: Tagsüber erscheint Florio die Welt "ganz normal", aber nachts trifft er auf die zum Leben erwachte Venus-Statue.
Zudem flüchten sich romantische Erzählungen häufig in eine vermeintlich bessere Zeit. In das "Das Marmorbild" leben die Charaktere in einer idealisierten Phantasie des Mittelalters.
Außerdem fällt das Entstehungsjahr 1818 in den Zeitraum der Epoche der Romantik (18. bis 19. Jahrhundert) und Eichendorff gilt als typischer Schriftsteller dieser Literaturepoche.
Eichendorffs "Das Marmorbild" lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen interpretieren. Zwei verbreitete Ansätze sind die Interpretation der Novelle als Eskapismus und der psychoanalytische Interpretationsansatz.
Die Handlung von "Das Marmorbild" wird häufig so interpretiert, dass Eichendorff mit seiner Geschichte Eskapismus, auch Realitätsflucht genannt, betreibt.
Er stellt in seiner Erzählung das Mittelalter als romantische, schöne Zeit dar. Die Handlung spielt in einer idealisierten Vergangenheit und kann als Flucht aus der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts der verstanden werden: Wie viele Schriftsteller*innen der Romantik fühlte auch Eichendorff sich eingeengt von der im damals neuartigen gesellschaftlichen Erwartung, "zu funktionieren". Die Naturwissenschaften erlebten zu Eichendorffs Zeit einen Aufschwung und die Industrialisierung war in ihren Anfangszügen.
Viele Romantiker*innen kritisierten diese Rationalisierung und flohen sich in Fantasiewelten und Idealvorstellungen, wie zum Beispiel die vom einfachen Mittelalter, in der die Religion noch an erster Stelle stand.
Ein weiterer Interpretationsansatz für "Das Marmorbild" ist der psychoanalytische. Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud ging davon aus, dass jeder Mensch in seiner Psyche drei Instanzen miteinander vereint: Das Über-Ich, das Es und das Ich. Das Über-Ich vertritt moralische Grundsätze und die Werte, an die jemand glaubt. Das Es steht für die Bedürfnisse eines Menschen, das nach dem Lustprinzip Handlungen fordert. Das Ich ist dafür verantwortlich, den Verstand und die Triebe, also das Über-Ich und das Es, auszubalancieren. Das Ich ist der "Steuermann" des menschlichen Handelns.
Bezogen auf "Das Marmorbild" kann Florio als das Ich, das über die Handlung entscheidet, verstanden werden. Fortunato und Bianka repräsentieren das Über-Ich: Sie sind reinen Herzens und wollen nicht, dass Florio weiterhin versucht, der Venus näher zu kommen. Die Venus und ihr Komplize Donati sind Stellvertretende für das Es von Florio. Die Venus ist geheimnisvoll und sexuell sehr anziehend, kann Florio aber auch in den Wahnsinn treiben.
Zu Anfang der Handlung überwiegt in Florios Handlungen das Es, denn er versucht, sich der Venus anzunähern. Als schließlich das Über-Ich wieder Kontrolle erlangt, verlässt der junge Florio die Stadt und reitet mit Bianka und Fortunato, den Vertretenden des Über-Ichs, in seine Zukunft davon.
"Das Marmorbild" kann also als Geschichte von Adoleszenz und der Kontrolle jugendlicher Triebe verstanden werden. Die Handlung rät den Lesenden dazu, trotz Versuchung ihren Moralvorstellungen und ihrem Anstand treu zu bleiben.
Abbildung 2: Joseph von EichendorffQuelle: wikipedia.org
Eichendorff hat neben "Das Marmorbild" auch einige andere Erzählungen geschrieben. Die bekannteste ist "Aus dem Leben eines Taugenichts".
Zudem ist Eichendorff bis heute auch als Lyriker sehr bekannt. Einige seiner wichtigsten Gedichte sind die folgenden:
Wenn du dich für Eichendorffs Gedichte und Erzählungen interessierst, dann lies doch gerne in unsere anderen Erklärungen zu seinen Gedichten und Erzählungen hinein!
Den Konflikt zwischen Illusion und Wirklichkeit. Florio ist hin- und hergerissen zwischen der schönen aber gespenstischen Venus und der echten, gutherzigen Bianka.
Die Handlung von "Das Marmorbild" wird häufig so interpretiert, dass Eichendorff mit seiner Geschichte Eskapismus betreibt. Wie viele Schriftsteller*innen der Romantik flüchtet er sich vor einer Gesellschaft, in der man "funktionieren" soll, in eine idealisierte Version des Mittelalters.
Ja, es ist eine Novelle mit märchenartigen Zügen. Häufig ist auch von einer "Märchennovelle" die Rede.
Das Marmorbild gehört zur Romantik, weil in der Handlung charakteristische Motive der Romantik aufgegriffen werden, so etwa Naturverbundenheit und der Kontrast zwischen Tag und Nacht. Außerdem fällt das Entstehungsjahr 1818 in den Zeitraum der Epoche der Romantik (18. bis 19. Jahrhundert) und Eichendorff gilt als typischer Schriftsteller der Literaturepoche.
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