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Medea-Stimmen

Der Roman "Medea. Stimmen" von Christa Wolf ist 1996 erschienen. Es ist der zweite Roman, in dem sich die Schriftstellerin einem Mythos aus der griechischen Antike bediente und ihn neu erzählte. Medea ist ursprünglich eine Figur aus der Mythologie, die zu den einflussreichsten literarischen Charakteren der griechischen Antike gehört und bis heute in Literatur, Musik und bildender Kunst Einfluss nimmt. 

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Der Roman "Medea. Stimmen" von Christa Wolf ist 1996 erschienen. Es ist der zweite Roman, in dem sich die Schriftstellerin einem Mythos aus der griechischen Antike bediente und ihn neu erzählte. Medea ist ursprünglich eine Figur aus der Mythologie, die zu den einflussreichsten literarischen Charakteren der griechischen Antike gehört und bis heute in Literatur, Musik und bildender Kunst Einfluss nimmt.

Der Mythos von Medea beruht auf einer Zauberin, die aus Kolchis kommt und nach Korinth geflohen ist. Sie ist die Tochter des Königs von Kolchis, Aietes. Ihr Name kann als "Die Ratwissende" übersetzt werden, was auf ihre Tätigkeit als Heilerin anspielt. In der Tragödie von Euripides begegnet sie dem Seefahrer Jason und heiratet ihn, nachdem sie ihren Bruder Absyrtos ermordet hatte. Mit ihm geht sie nach Korinth, wo Medea ausgeschlossen wird und Jason sich von ihr trennen will.

Nachdem Jason sie für die Königstochter Glauke verlässt, bricht Medeas Wut aus. Sie tötet den König Kreon von Korinth, seine Tochter Glauke und schließlich auch ihre Söhne, die aus der Ehe mit Jason stammen.

Euripides war der Erste, der Medea als die Mörderin ihrer Kinder und ihres Bruders dargestellt hat. In anderen Versionen des Mythos werden die Morde nicht von ihr begangen. Trotzdem ist die Version von Euripides zur einflussreichsten Erzählung der Legende geworden und Medea ist von da an als Kindsmörderin in die Geschichte eingegangen.

"Medea-Stimmen" – Zusammenfassung

Nachfolgend erhältst Du eine Zusammenfassung des Romans "Medea. Stimmen" von Christa Wolf. Die Handlung orientiert sich an den mythologisch überlieferten Ereignissen in Kolchis und Korinth. In Wolfs Interpretation der Geschichte nimmt die namensgebende Figur aber eine andere Stellung ein, als es in der klassischen Tragödie von Euripides der Fall ist. Wolfs Medea bringt weder ihren Bruder, noch ihre Kinder um, sondern ist das Opfer einer Intrige, um das Geheimnis des Staates Korinth zu bewahren.

Kolchis war in der Antike die Bezeichnung für ein Land, das zwischen dem Kaukasus und dem Schwarzen Meer lag. Das Gebiet ist mit dem heutigen Sotschi vergleichbar. Korinth war eine Stadt in der Antike, die im heutigen Griechenland liegt. Sie befindet sich auf einer Landenge, die die Halbinsel Peloponnes mit dem griechischen Festland verbindet.

In dem Roman ist die Handlung anhand von 11 Kapiteln erzählt, die jeweils aus einem Monolog einer der handelnden Figuren bestehen. Es sprechen insgesamt sechs Figuren in dem Roman.

Der Monolog kommt eigentlich aus dem Drama und bezeichnet den Vorgang, wenn eine Figur mit sich selbst spricht. Er steht im Gegensatz zu einem Dialog, der ein Gespräch zwischen zwei Figuren ist. Als einen inneren Monolog bezeichnet man ihn, wenn der Monolog nur gedanklich stattfindet und nicht gesprochen wird. Ob die Figuren in "Medea. Stimmen" ihre Monologe sprechen oder denken, wird nicht deutlich.

Medea – 1. Monolog

Der erste Monolog stammt von Medea. Sie wurde gerade erst aus dem Palast des Königs Kreon von Korinth verbannt und lebt nun in einer Lehmhütte am Rand der Stadt. Wegen einer Krankheit leidet sie unter Fieberschüben, in denen sie sich an ihre Vergangenheit erinnert und spricht in ihrer Fantasie mit ihrer Mutter. Ihr vertraut sie in den Träumen auch an, dass die Königin von Korinth, Merope, die Knochen eines Kindes in einer Höhle aufbewahrt.

Medea stammt aus Kolchis und ist die Tochter des Königs Aietes. Als der Argonaut Jason nach Kolchis gekommen war, um das Goldene Vlies (ein Widderfell), zu erlangen, hat sie ihm zuerst geholfen und ist mit ihm schließlich nach Korinth geflohen. Sie deutet bereits im ersten Monolog an, dass sie Kolchis nicht nur aus Liebe zu Jason verlassen hat.

Als Argonauten bezeichnet man in der griechischen Mythologie die Protagonisten der Argonautensage. Dies ist ein großer Komplex der griechischen Mythologie, der davon handelt, dass Jason und seine Gefährten auf dem unglaublich schnellen Schiff "Argo" nach Osten fahren, um an das Goldene Vlies zu gelangen.

Das Goldene Vlies ist in der griechischen Mythologie das Fell eines goldenen Widders (Chrysomeles), der fliegen und sprechen konnte. In Jasons Herkunftsland Iolkos ist das Goldene Vlies ein Heiligtum, weswegen er es zurückerlangen will.

Jason – 1. Monolog

Der zweite Monolog des Romans ist aus der Sicht von Jason verfasst. Er kommentiert, dass Medea in Korinth einen schlechten Stand hat, er aber vom König Kreon wie ein Sohn behandelt wird. Er hilft Medea zwar nicht, aber er weiß, dass die Anschuldigungen gegen sie von Akamas erfunden sind. Akamas ist der wichtigste Berater des Königs und der erste Astronom in Korinth.

Jason erinnert sich schließlich auch an die Geschehnisse in Kolchis. Er hatte Aietes um das Goldene Vlies gebeten, allerdings wollte der es dem Argonauten nicht geben. Aietes stellte Jason vor fast unlösbare Aufgaben, bei denen ihm Medea mit ihrer Zauberkraft half. Als er schließlich das Goldene Vlies erhalten hatte, wurde Medeas Bruder Absyrtos ermordet und Medea wurde verdächtigt, ihn getötet zu haben.

Jason wusste, dass sie unschuldig war, allerdings hätte seine Aussage vor dem Gericht in Kolchis kein Gewicht gehabt. Jason nimmt sie deshalb mit sich und sie heiraten und bekommen zwei Söhne. In Korinth wird Medea als Fremde wahrgenommen und sie ist nicht bereit, sich zu assimilieren. Ihre angstfreie und unkonventionelle Art wird von vielen Korinthern skeptisch betrachtet. Auch wenn sie als Heilerin häufig um Rat gefragt wird, haben manche Angst vor Medea.

Als Assimilation bezeichnet man die umfassende Anpassung an eine neue Umgebung.

Jason ist besorgt, wegen Medea seine gute Stellung in Korinth zu verlieren, da er im Königshaus lebt und eng mit der Königsfamilie verbunden ist. Ihm ist Korinth schließlich wichtiger. Er bemerkt, dass er Medea nicht verändern und sie so nicht aus ihren Schwierigkeiten befreien kann.

Agameda

Agameda stammt auch aus Kolchis und war Schülerin von Medea und ist ebenfalls mit der Argo nach Korinth gekommen. Sie hasst Medea mittlerweile und will ihr um jeden Preis schaden. In ihrem Monolog erzählt sie die Geschichte von dem Mord an Absyrtos und dass sie das Gerücht, dass Medea ihn umgebracht hätte, auch in Korinth verbreitet hat.

In Korinth hat sie sich mit ihrem Mann Presbon – im Gegensatz zu Medea – vollkommen assimiliert und sie ist eine enge Freundschaft mit Akamas eingegangen. Sie kennt Medea seit Kindestagen, aber hat begonnen sie zu hassen, als ihre Mutter krank war und Medea sie nicht heilen konnte. Medea hat Agameda danach als Schülerin aufgenommen, wodurch diese nun ebenfalls als Heilerin tätig ist.

Da Agameda Medea loswerden möchte, erzählt sie Akamas, dass Medea bei einer Feier im Palast der Königin nachspioniert hätte. Sie spielt dabei darauf an, wie Medea die Kinderknochen in einer Höhle im Palast entdeckt hat. Da es sich bei den Kinderknochen aber um ein Staatsgeheimnis handelt, kann Akamas diese Geschichte nicht verbreiten. Er möchte Medea trotzdem schaden und Agameda erzählt schließlich, dass Medea in Kolchis angeklagt war, ihrem Bruder ermordet zu haben.

Akamas verbreitet die Geschichte des Brudermordes und klagt Medea vor einem Gericht in Korinth an. Agameda freut sich darauf, dass Medea bestraft und wahrscheinlich der Stadt verwiesen wird.

Medea – 2. Monolog

Medeas zweiter Monolog handelt von den Anschuldigungen, von denen sie nun gehört hat. Zutiefst verzweifelt wendet sie sich an ihren toten Bruder Absyrtos und erzählt die Geschichte von seinem Tod. In Kolchis gab es eine Tradition, dass ein König nicht länger als 14 Jahre am Stück an der Macht bleiben sollte. Absyrtos und andere waren außerdem unzufrieden mit der Politik von Aietes und forderten deshalb seinen Rücktritt.

Dieser wollte nicht zurücktreten und übergab den Thron deshalb für einen Tag symbolisch an Absyrtos. Der wollte allerdings das Staatswesen erneuern und galt als Hoffnungsträger im Volk. Aietes ließ ihn deshalb ermorden, um die Herrschaft wieder übernehmen zu können und seine Macht zu erhalten.

Medea zieht dann die Parallele zu Korinth und den Kinderknochen in der Höhle, die sie gesehen hat. Sie stammen von Iphinoe, der ältesten Tochter von Kreon und Merope. Auch sie wollte einen Politikwechsel herbeiführen und wurde deshalb auf den Befehl von Kreon hin ermordet. Medeas Verzweiflung wird noch größer, als sie erkennt, dass sie nach ihrer Flucht in einem ebenso verbrecherischen System gefangen ist.

Akamas

Akamas ist als erster Astronom von Korinth und wichtigster Berater des Königs der eigentliche Machthaber. Er verachtet Kreon als Person zwar, allerdings gilt seine Loyalität Korinth und was er glaubt, was gut für die Stadt wäre. Er war bei ihrer Ankunft zuerst von Medea fasziniert, weil er sie für klug hielt und die Gespräche mit ihr schätzte. Allerdings muss er sie schnellstmöglich loswerden, damit Jason Glauke heiraten kann, um Kreons Nachfolger werden zu können.

Akamas weiß, dass Medea die Knochen von Iphinoe gesehen hat und ahnt, was das Staatsgeheimnis ist. Er denkt, dass sie sich durch ihr Verhalten ihr eigenes Grab schaufelt, da sie auch im Exil ruhig leben könnte, ohne Korinth zu gefährden. Durch ihre aufmüpfige Art zwingt sie ihn aber dazu, sie weiter zu bekämpfen.

Glauke

Glauke ist die Tochter von Kreon und Merope. Sie leidet unter epileptischen Anfällen und einem sehr niedrigen Selbstwertgefühl. Sie glaubt, dass sie schuld an dem Ausbruch der Pest in Korinth wäre und macht sich deshalb schwere Vorwürfe. In dem Monolog erklärt sie, wie sich ihr Verhältnis zu Medea über die Zeit verändert hat.

Nach Medeas Ankunft in Korinth war sie zuerst sehr begeistert von der Fremden. Glauke baute ein tiefes Vertrauen zu der Heilerin auf und Medea hat versucht, ihre Epilepsie zu behandeln. Während dieser Behandlung hat Medea Glauke auch dazu gebracht, sich an die Entführung ihrer Schwester zu erinnern, was für die Königstochter ein traumatisches Erlebnis war. Durch diese Art von Gesprächstherapie hat sich ihr Zustand aber stark verbessert.

Glaukes Anfälle wurden immer weniger. Zeitgleich verliebt sich Glauke aber in Jason, der mit Medea verheiratet ist. Als Glauke erfährt, dass Medea eigentlich den Bildhauer Oistros liebt, ist sie glücklich darüber, weil sie daran glaubt Jason für sich gewinnen zu können. Kreon verbietet seiner Tochter den Kontakt zu der Heilerin, als sich das Gerücht des Brudermordes verbreitet. Glauke wird auch durch Agameda und Akamas von den Beschuldigungen überzeugt und schämt sich dafür, dass sie einer Mörderin vertraut hat.

Leukon – 1. Monolog

Leukon ist der zweite Astronom des Königshauses und ein enger Freund von Medea. Er weiß von den Lügen, die Akamas verbreitet und auch, dass er Medea versucht loszuwerden, um Kreons Herrschaft zu bewahren. Allerdings traut sich Leukon nicht, dieses Wissen öffentlich zu machen, weil er befürchtet, sich dadurch selbst in Gefahr zu bringen.

In seinem Monolog ordnet er ein, wie stark das Volk von Akamas` Lügen beeinflusst ist. Die Menschen glauben, dass Medea auch für ein Erdbeben in Korinth und für den Ausbruch der Pest verantwortlich sei. Leukon ist verzweifelt, weil er Angst um seine Freundin hat und wundert sich darüber, dass Medea nicht beunruhigt zu sein scheint.

Medea – 3. Monolog

Medea befindet sich mittlerweile in einer Gefängniszelle und erinnert sich an ihre Verhaftung bei einem Frühlingsfest. Obwohl Leukon sie davor gewarnt hatte, hat sie teilgenommen. Bei dem Fest kam es schließlich zu einer Massenpanik, weil jemand einen Baum im heiligen Hain gefällt hat. Die Frauen sind in ihrer Wut darüber auf den Mann losgegangen, der den Baum gefällt hat, und haben ihn entmannt. Medea wird schließlich für die Gräueltat an dem Mann verantwortlich gemacht und verhaftet.

Jason – 2. Monolog

Jasons Monolog findet während des Gerichtsprozesses statt. Er weiß, dass das Urteil längst feststeht und Kreon Medea nur loswerden möchte. Er erinnert sich an das letzte Gespräch mit ihr, in dem sie ihm vorgeworfen hat, feige zu sein, weshalb er genauso schlimm sei wie ihre eigentlichen Verräter. In dem Gespräch hat sie ihm auch gestanden, dass sie eigentlich Oistros liebt.

Wegen des Liebesgeständnisses stimmt auch Jason vor Gericht für Medeas Verbannung. Sein Plan ist es, dass die gemeinsamen Söhne in Korinth bleiben und bei ihm im Palast aufwachsen.

Leukon – 2. Monolog

Leukon ist nun noch verzweifelter als zuvor. Glauke hat Selbstmord begangen, allerdings wird auch bei diesem Tod Medea als Mörderin beschuldigt. Die Söhne von Medea und Jason wurden gesteinigt und weil Jason nun Glauke nicht mehr heiraten kann, lebt er auch nicht mehr im Palast. Jason lebt nun verwahrlost in der Nähe seines Schiffes. Akamas wird weiterhin immer mächtiger und Leukon kann nichts dagegen tun. Er hat Angst, dass er wegen seiner Freundschaft zu Medea bestraft werden wird.

Medea – Letzter Monolog

Der letzte Monolog des Romans findet viele Jahre später statt. Medea lebt in der Verbannung und erfährt, dass in Korinth erzählt wird, dass sie ihre eigenen Söhne umgebracht hätte. Auch noch heute hält sich die Sage von ihr als Kindsmörderin, weil Akamas alle sieben Jahre ein Gedenkjahr ausruft, das an ihre angeblichen Verbrechen erinnert. In der Höhle, in die sie im Exil eingesperrt ist, verflucht sie diejenigen, die sie verraten und gepeinigt haben.

"Medea-Stimmen" – Charakterisierung / Figurenkonstellation

Der Roman "Medea. Stimmen" von Christa Wolf ist durch seine komplexe Figurenkonstellation geprägt. Der bereits anspruchsvolle griechische Mythos wird dadurch erweitert, dass die Figuren bei Wolf auch über ein komplexeres Innenleben verfügen und von verschiedenen Motiven getrieben sind. Die Figuren erzählen in Monologen die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, wodurch die Sichtweisen sich überlappen oder auch widersprechen können.

In der folgenden Grafik ist die Figurenkonstellation dargestellt. Besonders die Feindschaft gegenüber Medea und die Isolation ihres einzigen Freundes, Leukon, fallen dabei auf.

"Medea Stimmen" Charakterisierung der Hauptfiguren

Die Hauptfiguren in Christa Wolfs Roman "Medea. Stimmen" stammen alle aus der griechischen Mythologie. Wolf hat sie zum Teil anders charakterisiert, als es in den antiken Werken üblich war und so auch die Geschichte verändert. Dadurch, dass der Roman davon handelt, dass Medea das Opfer einer Intrige ist, ist sie auch nicht mehr die Kindsmörderin, als die sie durch Euripides` Tragödie bekannt geworden ist.

Medea

Medea ist die namensgebende Hauptfigur des Werkes. Sie hat den größten Redeanteil, da vier Monologe aus ihrer Sicht verfasst sind. Um sie dreht sich die gesamte Handlung, weil ihre Präsenz in Korinth und ihre Ehe zu Jason Kreon und Akamas erst dazu veranlasst, sie verbannen zu wollen.

  • Sie stammt aus Kolchis und ist die Tochter des Königs Aietes. In ihrer Heimat war sie als Priesterin und Heilerin tätig.
  • Sie verfügt über Zauberkräfte.
  • Sie war auch eine der Anführerinnen der politischen Opposition gegen ihren Vater.
  • Medeas Auftreten ist durch ihren Mut und ihr Selbstbewusstsein geprägt. In Korinth fällt sie dadurch und durch ihr Aussehen auf, das durch die dunkle Hautfarbe und das krause Haar charakterisiert wird.
  • Sie wird in Korinth ausgegrenzt und als "wild" wahrgenommen, weil sie nicht bereit ist, sich zu assimilieren. Trotzdem nehmen viele Korinther*innen ihre Heilkräfte in Anspruch.
  • Medea fühlt sich schuldig, weil sie durch ihre Flucht ihre Mutter in Kolchis allein zurückgelassen hat. Deshalb bleibt sie trotz aller Gefahren in Korinth, um nicht ein zweites Mal wegzulaufen.

Jason

  • Jason ist der Ehemann von Medea und der Vater ihrer beiden Söhne.
  • Er kommt aus Iolkos und ist der Neffe des Königs Pelias.
  • Er ist in einem Wald von einem Zentauren großgezogen worden und wird später Argonaut, um das Goldene Vlies zu erhalten. Damit will er den Thron in Iolkos für seinen Vater zurückerobern, der Plan scheitert allerdings.
  • Dadurch, dass Jason ohne Kontakt zu Menschen groß geworden ist, überfordern ihn soziale Situationen häufig. Er erkennt häufig die Hintergedanken der handelnden Figuren nicht und kann deshalb auch nicht eingreifen, um Medea zu helfen.
  • Trotzdem erkennt er, dass der Prozess gegen Medea nicht gerecht ist, aber er hilft ihr nicht, weil sie ihm gestanden hat, dass sie einen anderen liebt.
  • Jason vergewaltigt seine Ehefrau und sagt gegen sie aus, hat aber ein schlechtes Gewissen deswegen.

Ein Zentaur ist ein Fabelwesen, das häufig in der griechischen Mythologie vorkommt. Es handelt sich dabei um ein Mischwesen mit einem menschlichen Oberkörper mit einem Pferdeleib.

Akamas

  • Akamas ist der erste Astronom des Königreiches und der engste Berater von Kreon. Er ist eigentlich der mächtigste Mann in Korinth, allerdings übt er seine Macht im Hintergrund aus.
  • Er sehnt sich zwar nach Liebe, allerdings ist er nur gegenüber dem Staat loyal, was die Einsamkeit noch weiter verfestigt.
  • Er versucht Medea loszuwerden, weil sie durch ihre Wahrheitssuche den Staat gefährdet und er außerdem Jason mit Glauke (Kreons Tochter) verheiraten will.
  • Er sieht sein Verhalten als gerecht an, da er glaubt, dass Medea wegen ihrer neugierigen Art selbst schuld an ihrem Schicksal sei.
  • Seine Skrupellosigkeit zeigt sich besonders am Ende, als er alle sieben Jahre ein Gedenkjahr ausruft, das an die angeblichen Morde Medeas erinnern soll.

"Medea-Stimmen" – Analyse von Aufbau und Sprache

Die Handlung von Christa Wolfs "Medea. Stimmen" folgt zwar der Chronologie der Geschehnisse, allerdings nehmen die Rückblenden der Figuren viel Raum ein. Die eigentliche Handlung wird dem/der Leser*in dabei erst durch die Verbindung der verschiedenen Erzählungen deutlich, da sie mehrere Blickwinkel auf dieselben Ereignisse abbilden. Dadurch wird die Wirkung erzielt, dass "Medea. Stimmen" eine objektive Darstellung der Geschehnisse in Kolchis und Korinth ist.

Aufbau

"Medea. Stimmen" ist in 11 Kapitel unterteilt, die aus der Sicht von insgesamt sechs Charakteren verfasst sind. Vor jedes Kapitel ist ein Zitat gesetzt, das dem folgenden Text einen Schwerpunkt verleiht. Die Zitate stammen aus unterschiedlichen Zeiten, wodurch die Geschichte als zeitlos dargestellt wird. Die Bedeutung der Ereignisse, die zwar aus der Antike stammen, soll dadurch in die heutige Zeit transportiert werden. Zum Beispiel ist vor Leukons Monolog ein Zitat des Soziologen René Girard gestellt, der dem Monolog einen inhaltlichen Schwerpunkt verleiht.

Die Menschen wollen sich davon überzeugen, daß [sic!] ihr Unglück von einem einzigen Verantwortlichen kommt, dessen man sich leicht entledigen kann.

Alle Zitate stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus Christa Wolfs "Medea. Stimmen" (2008, Berlin: Suhrkamp Verlag).

Die wichtigsten Ereignisse werden von den insgesamt vier Monologen abgedeckt, die aus Medeas Sicht geschrieben sind. Sie beginnt den Roman mit der Erinnerung daran, wie sie die Knochen von Iphinoe im Palast gesehen hat. Im zweiten Monolog reagiert sie darauf, dass auch in Korinth das Gerücht verbreitet wird, dass sie ihren Bruder umgebracht hätte. Der dritte Monolog von Medea findet im Gefängnis statt, in dem sie auf ihren Schauprozess warten muss. Der letzte Monolog bildet das Schlusswort, das sie mehrere Jahre nach ihrer Verbannung spricht und in dem ihre Verzweiflung auf dem Höhepunkt ist.

Die anderen Monologe sind zwischen diesen Ereignissen eingebaut. Die Figuren können als Korinther und diejenigen, die mit Medea aus Kolchis geflohen sind und als Freunde und Feinde eingeordnet werden. Es sprechen insgesamt drei Frauen: Medea, Agameda und Glauke; und drei Männer: Jason, Akamas und Leukon.

Die Freunde Medeas sind zu Beginn Jason und Glauke und über die gesamte Handlung hinweg Leukon. Im Verlauf der Handlung werden Jason und Glauke ebenfalls zu Feinden von Medea und Akamas ist, während der erzählten Zeit, ihr gegenüber durchgängig feindlich eingestellt. Dadurch wird den Feinden von Medea weitaus mehr Raum gegeben als ihrem einzigen Freund.

Als erzählte Zeit bezeichnet man in epischen Texten die Zeit, in der die Handlung des Textes stattfindet. Sie steht der Erzählzeit gegenüber, die die Zeit bezeichnet, die das Erzählen selbst benötigt.

In Christa Wolfs Roman ist der Monolog das durchgängig angewandte Gestaltungsmittel. Die Ereignisse sind deshalb immer aus mehreren subjektiven Blickwinkeln beschrieben, wodurch eine scheinbare Objektivität entsteht.

Sprache

Da "Medea. Stimmen" in Monologen verfasst ist, müssen die Figuren sprachlich einzeln betrachtet werden. Die Ausdrucksweisen spiegeln dabei jeweils auch die Charaktere wider. Obwohl die Figuren zum Teil verschiedene Herkünfte haben, sind aber keine sprachlichen Besonderheiten wie Dialekte oder Ähnliches zu erkennen und es gibt auch keine Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Figuren.

Medea

Medea hat mit vier Monologen die meiste Erzählzeit der Figuren. Anhand ihrer Sprache ist ihre Herkunft aus einem Königshaus erkennbar, da sie sich gebildet ausdrückt. Ihre Sprache ist auch klar und sie benennt Dinge ohne Umschweife, was auf ein großes Selbstbewusstsein hinweist. Gleichzeitig verliert sich Medea aber auch zum Teil in Assoziationsketten, besonders wenn sie zwischen ihrer Erinnerung und dem Jetzt schwankt.

Durst. Ich muß [sic!] aufwachen. Ich muß die Augen öffnen. Der Becher neben dem Lager. Kühles Wasser löscht nicht nur den Durst, es stillt auch den Lärm in meinem Kopf, das kenn ich doch.

In diesem Zitat wird sowohl der assoziative Stil in Medeas Sprache, als auch die klare Art über Dinge nachzudenken und sie zu deuten, deutlich.

Jason

Auch Jasons Sprache spiegelt seine Herkunft wider. Er stammt zwar auch aus einer Königsfamilie, allerdings ist er allein in einem Wald aufgewachsen und erst als Erwachsener mit anderen Menschen in Kontakt gekommen. Dadurch ist seine Sprache sehr einfach gehalten und durch umgangssprachliche Wendungen geprägt.

Jason spricht in kurzen Sätzen und analysiert das Geschehen nicht, sondern gibt nur seine Eindrücke wider. Teilweise versucht er zwar das Verhalten der anderen Figuren auch zu deuten, allerdings zeigt sich darin eher die Überforderung, die er spürt. Er gibt in seinen Monologen häufig preis, dass er nicht versteht, warum etwas geschehen ist oder warum sich die Charaktere so verhalten, wie sie es tun. In dem folgenden Zitat wird das deutlich:

Wohin war ich da geraten, wohinein hatte sie mich schon wieder verstrickt. Überzeugt, überzeugt. Wovon kann unsereins schon überzeugt sein bei diesen Weibern. Die Ältesten bewegten zustimmend die Köpfe. Anscheinend soll es nicht mir an den Kragen gehen. Aber ihr. Und sie ist meine Frau.

Agameda

In Agamedas Monolog ist eine sehr selbstsichere Sprache erkennbar. Dadurch wird ihre charakterliche Beschaffenheit anhand ihrer Sprache deutlich. Der Monolog weist einen strukturierten Aufbau auf, allerdings wird auch eine gewisse Manipulation deutlich. Sie stellt sich vordergründig gegen Medea und versucht ihr mit allen Mitteln zu schaden.

Ihre Sätze sind relativ kurz gehalten und geben klare Formulierungen wider. Dadurch und durch die häufige Verwendung des Pronomens "ich" wird deutlich, dass Agameda von sich selbst und ihren Handlungen überzeugt ist. Verdeutlicht wird das in dem folgenden Zitat:

Ich. Agameda. Die einst ihre begabteste Schülerin gewesen ist, das hat sie mir selbst gesagt. Du wirst eine gute Heilerin, Agameda. Setzte aber, wie immer, meiner hochschießenden Freude gleich einen Dämpfer auf: Wenn du es lernst dich zurückzunehmen. [...] Ich bin Heilerin geworden. Manche Leute kommen lieber zu mir als zu ihr, vor der sie Scheu haben.

Akamas

Akamas Sprache ist durch seine politische Tätigkeit und seine umfassende Bildung geprägt. Er drückt sich rhetorisch geschickt aus, allerdings verwendet er dieses Geschick auch zur Manipulation anderer. Er stellt etwa häufiger Suggestivfragen, um andere Figuren zu beeinflussen.

Eine Suggestivfrage ist eine Form der Frage, bei der eine bestimmte Antwort bereits besonders naheliegend ist. Suggestivfragen sind so gestellt, dass sie das Gegenüber beeinflussen sollen und gedanklich in eine bestimmte Richtung drängen.

Akamas beherrscht alle sprachlichen Niveaus, also nicht nur die gebildete Sprache, sondern auch die volkstümliche, und setzt sie für seine Zwecke ein. Dadurch wird seine manipulative Handlungsweise deutlich, mit der er Medea schaden möchte, um seine eigene Macht auszubauen. Deutlich wird das in dem folgenden Zitat:

Das Gerücht geht um, daß Medea ihre [Glaukes] Fallsucht heimlich behandelt, und in der Tat scheint Glauke sich zu erholen, schade, daß ich das werde unterbinden müssen. Auf ihre ahnungslosen Fragen versuchte ich Medea klarzumachen, daß Kreon als König nicht Kreon ist oder irgendein anderer beliebiger Mann, überhaupt keine Person, sondern ein Amt, eben der König.

Glauke

Auch bei Glauke spiegelt auch die Sprache des Monologs ihren Charakter wider. Glauke ist zuriefst unsicher und ist auch in ihrer Sprache hin- und hergerissen. Sie revidiert häufig noch im selben Satz ihre Aussage und vermeidet klare Aussagen. Häufig formuliert Glauke ihre Gedanken als Fragen, was auch anhand ihres geringen Selbstbewusstseins gedeutet werden kann.

Denn was war mein heimlicher Triumph und meine tiefe Beunruhigung, mit meiner Begierde war ich ihr entwischt, sie, die mehr von mir zu wissen schien als ich selber, sie ahnte nicht, wohin meine Wünsche, die sie von der Angst befreit hatte, sich verstiegen, welche Gestalt sie annahmen oder an welche Gestalt sie sich hängten.

Die Sätze in Glaukes Monolog bestehen aus parataktisch aneinandergereihten Teilsätzen, wie in dem Zitat deutlich wird. Durch diese Sprache wird die Unsicherheit, die von ihren Schuldgefühlen und dem Trauma der Entführung ihrer Schwester kommt, deutlich gemacht.

Als Trauma (Plural: Traumata) bezeichnet man in der Psychologie ein Erlebnis, das zu einem psychischen Ausnahmezustand geführt hat. Dabei kann es sich um Gewalt, Verlust oder anderes handeln.

Als Parataxe bezeichnet man Sätze, die aus mehreren grammatisch gleichgestellten Nebensätzen bestehen. Das Gegenteil der Parataxe ist die Hypotaxe, bei der mehrere Nebensätze einem grammatisch übergeordnetem Hauptsatz untergeordnet sind.

Leukon

Leukon ist, wie Akamas, rhetorisch geschickt und sehr gebildet. Leukons Ausdruck ist allerdings diplomatischer als der von Akamas und seine Formulierungen sind elegant gewählt. Er deutet das Verhalten der anderen Figuren ähnlich wie Medea und verfällt teilweise ins Philosophieren. Dies ist durch einen Assoziationsstil gekennzeichnet. Gleichzeitig formuliert er seine Gedanken aus taktischen Gründen aber vorsichtig, da er Medea und sich nicht schaden möchte.

Und ich, wer würde mir das glauben, ich spürte etwas wie Neid auf diese Frau, die beschmutzt, besudelt, erschöpft mit einem Stoß der Wachen und einem Fluch des Oberpriesters aus der Stadt verbannt wurde. Neid, weil sie, das unschuldige Opfer, frei war von innerem Zwiespalt.

In dem Zitat wird das Philosophieren Leukons deutlich, wie auch sein gewählter Ausdruck. Er denkt über seine Machtlosigkeit und seine eigene Rolle in dem Staat nach. Er fühlt sich schuldig, weil er Medea nicht helfen kann und gleichzeitig noch immer eine gute Stellung in Korinth innehat.

"Medea-Stimmen" – Interpretation

Der Stoff, dem sich Christa Wolf in "Medea. Stimmen" widmet, gilt als einer der bekanntesten Mythen der Weltgeschichte und lässt viel Raum der Interpretation. Die Entstehung dieses Mythos wird auf das 14. Jahrhundert vor Christus geschätzt. Es existieren dabei verschiedenste Versionen der Geschichte, in Bezug auf die Schicksale von Medea, Glauke, Jason oder auch Absyrtos. Nur eines ist in fast allen Versionen gleichbleibend: Die Kinder von Medea werden von den Korinthern ermordet. Bei Euripides wurde dies umgedeutet und so wurde Medea als Kindsmörderin berühmt.

Vergleich von Christa Wolf und Euripides

Euripides war ein Dichter der griechischen Antike und verfasste seine Tragödie "Medea" 431 vor Christus im Rahmen eines Wettbewerbes in Athen. Er erhielt hierfür zwar nicht den ersten Preis, allerdings wurde von da an Medea als die Kindermörderin betrachtet, als die sie Euripides gezeichnet hatte.

Die Version von Euripides beginnt bereits in Korinth und die beiden Söhne von Medea und Jason sind ebenfalls bereits geboren. Jason wird hier als ein berechnender und rationaler Charakter dargestellt. Da er in die Thronfolge von Korinth einsteigen möchte, verlässt er Medea für Kreusa (Glauke). Medea liebt ihren Ehemann allerdings noch immer und will alles versuchen, um ihn von diesem Schritt abzuhalten.

Kreon will Medea aus Korinth verbannen, weil er sich einerseits vor ihren Zauberkräften fürchtet und andererseits, weil er sie nicht bei der Hochzeit zwischen Kreusa und Jason dabei wissen will. Medea schafft es aber durch einen geschickten Monolog, dass ihre Verbannung einen Tag nach hinten verschoben wird und fasst einen Plan. In einem Gespräch mit Jason versöhnen sich die Eheleute scheinbar und Medea gibt vor, seine Handlungen zu verstehen.

Sie lässt Kreusa ein Kleid als Hochzeitsgeschenk schicken, das aber vergiftet ist. Sobald die Tochter des Königs es angezogen hat, geht es in Flammen auf und sowohl Kreusa als auch Kreon sterben in dem Feuer. Um Rache an Jason zu üben, bringt Medea daraufhin die gemeinsamen Kinder um und fliegt in einem Drachenwagen des Sonnengottes Helios davon.

Christa Wolf greift die Interpretation von Euripides auf, indem sie ihn in einem der vor die Kapitel gestellten Zitate zu Wort kommen lässt. Euripides Zitat steht vor dem Monolog von Agameda, also einer Feindin Medeas und zitiert Kreon, der sagt:

Kreon: Und sind Frauen auch nicht zum Guten geschickt, sind sie doch Meisterinnen des Bösen.

Durch das Zitat und die Nennung von Euripides, ordnet Wolf seine Interpretation klar als frauenfeindlich ein. Dadurch, dass die Zitate vor den Kapiteln aus verschiedenen Zeiten stammen und oft auf den Medea-Mythos Bezug nehmen, stellt Christa Wolf die Intertextualität in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. Medea ist nicht ohne die vielen Versionen ihrer Geschichte denkbar.

Intertextualität bezeichnet das Phänomen, dass Texte dadurch miteinander verbunden sind, dass sie Bezug aufeinander nehmen. Intertextualität kann dabei ganz offen passieren, indem Texte zum Beispiel zitiert oder genannt werden, oder auch sehr subtil, indem nur Anspielungen in den Texten auftauchen, die der/die Leser*in nur versteht, wenn er/sie den Text, auf den angespielt wurde, kennt.

Auch in der Handlung wird dies mit aufgenommen, da Medea am Ende erfährt, dass es Gedenkjahre gibt, in denen die Einwohner*innen von Korinth an ihre angeblichen Verbrechen erinnern. Christa Wolfs Medea weiß demnach, dass sie durch die Lüge von Akamas in die Geschichte eingehen und die Erzählung der Kindermörderin sie überdauern wird.

Ost- und Westdeutschland

Den Roman "Medea. Stimmen" anhand der deutschen Wiedervereinigung 1990 zu deuten, liegt auch aufgrund von Christa Wolfs Biografie nahe. Der Staat Kolchis, aus dem Medea geflohen ist, liegt östlich, während das westliche Korinth nun ihre neue Heimat und schließlich ihre Verdammnis wird. Auch die Beschreibungen der beiden Gesellschaften weisen Anspielungen auf, die auf Ost- und Westdeutschland hinweisen können.

1948 wurden die beiden deutschen Staaten DDR (Deutsche Demokratische Republik) und BRD (Bundesrepublik Deutschland) gegründet. Die DDR entstand aus der russischen Besatzungszone nach dem Zweiten Weltkrieg und war ein sozialistischer Staat. Die BRD entstand aus den Besatzungszonen der USA, Großbritanniens und Frankreichs und ist kapitalistisch organisiert. 1989 fiel die Mauer, die Berlin in Ost und West aufteilte und 1991 vereinigten sich die beiden Staaten schließlich zu der heutigen, kapitalistischen Bundesrepublik.

In dem Roman wird beschrieben, dass der Wert eines Menschen in Korinth anhand seiner Besitztümer gemessen wird, was auf eine kapitalistische Wirtschaftsweise hindeutet. In Kolchis wird in einem Monolog von Medea beschrieben, wären die Güter gleich verteilt gewesen und die Menschen glaubten an alte Mythen und Geschichten, die von Gerechtigkeit handelten. Damit ist allerdings nicht das Kolchis gemeint, aus dem Medea geflohen ist und das von ihrem Vater Aietes ungerecht und korrupt regiert wurde, sondern das frühere Kolchis, das Medea und Absyrtos durch ihre politische Arbeit wiedererlangen wollten.

Der Lebensstandard ist in Korinth höher als in Kolchis, was ebenso auf die beiden deutschen Staaten bezogen werden kann, da auch die BRD der wohlhabendere Staat war. Die Kolcher*innen, die in Korinth leben, werden mit Vorurteilen konfrontiert, die sie als weniger zivilisiert und als "Barbaren" oder "Wilde" bezeichnen. Dies kann auf eine weitverbreitete Haltung in Westdeutschland und im Deutschland nach der Wiedervereinigung hin gedeutet werden, da es mitunter auch Vorurteile gegenüber Menschen aus Ostdeutschland gab. Dies kann dabei selbstverständlich nicht verallgemeinert werden, sondern spiegelt nur Erfahrungen wider, die Menschen zu der Zeit gemacht haben.

Auch die Rolle der Frau in Kolchis und Korinth weist Parallelen zu dieser historischen Situation auf. Die Frauen aus Kolchis haben ein weitaus größeres Selbstbewusstsein als die Korintherinnen und leben gleichberechtigt mit den Männern, während in Korinth die Frauen den Männern untergeordnet sind. Auch in der DDR war die Emanzipation über einen langen Zeitraum weiter fortgeschritten als in der BRD und Frauen und Männer waren in Ostdeutschland näher an einer Gleichberechtigung als es in Westdeutschland der Fall war.

Doch auch auf Christa Wolfs persönliche Biografie kann die Handlung von "Medea. Stimmen" angewandt werden. Christa Wolf kam selbst aus der DDR und hielt noch 1989 eine Rede in Berlin, in der sie die Menschen dazu aufforderte, nicht zu fliehen, sondern für die Utopie eines gerechten sozialistischen Systems zu kämpfen. Dies kann keinesfalls so interpretiert werden, dass Wolf die DDR als gerechten Staat empfand, sondern dass die Schriftstellerin überzeugt war, dass er dies einmal werden könne.

In Kolchis und Korinth werden durch die Morde an Absyrtos und Iphinoe dieselben Verbrechen verübt, mit dem Unterschied, dass das Verbrechen in Korinth sehr viel verdeckter passiert ist und als Staatsgeheimnis behandelt wird. Dies kann so interpretiert werden, dass Christa Wolf glaubte, dass sowohl in der DDR, als auch in der BRD ungerechte Verhältnisse herrschen, die BRD diese aber besser kaschieren konnte.

Ebenso kann die Verleumdung durch Agameda biografisch gedeutet werden. Agameda sagt Akamas, dass sie gesehen habe, wie Medea der Königin nachspioniert habe. Sie will damit Medea explizit schaden. Christa Wolf gab 1993 in einem Zeitungsartikel zu, dass sie zwischen 1959 und 1962 als Mitarbeiterin der Staatssicherheit gearbeitet hatte, allerdings nur Positives über die Personen weitergegeben hätte. Daraufhin wurde sie stark kritisiert und die Anschuldigung durch Agameda lässt die Interpretation zu, dass Wolf glaubte, dass ihr Menschen durch die Anschuldigungen aus anderen Gründen schaden wollten.

Das Ministerium für Staatssicherheit (kurz: Stasi) war ein Instrument der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in der DDR. Die SED war die einzige regierende Partei des Staates und die Stasi war gleichzeitig eine Geheimpolizei, als auch der Nachrichtendienst der Regierung. Durch Mitarbeiter*innen ließ das Ministerium viele Bürger*innen ausspionieren und zum Teil verhaften.

Unter den Figuren wird allerdings keine Unterscheidung anhand der Herkünfte gezogen, obwohl die Figuren des Romans in Freunde und Feinde eingeteilt werden können. Medeas Feinde sind dabei diejenigen, die selbst mächtig sind oder mit sich mit Mächtigen verbünden, egal in welchem der beiden Staaten. Medeas Freunde sind diejenigen, die, wie sie selbst, zu Opfern der Mächtigen werden.

Das Sündenbockmotiv

"Medea. Stimmen" kann auch anhand des durchgehenden Motivs des Sündenbocks interpretiert werden. Anhand dessen können moralische Fragen in der Geschichte von Medea erörtert werden, die sich mit Toleranz und dem Umgang zwischen verschiedenen Kulturen beschäftigen.

Das Motiv des Sündenbocks stammt aus dem Alten Testament der Bibel. In 3. Moses 16 wird die Geschichte eines Tieropfers erzählt, das Moses Bruder Aaron bringen soll. Gott befiehlt ihm, nach der Entsühnung des Heiligtums, alle Sünden des Volkes Israel auf einen lebenden Bock zu übertragen und diesen in die Wüste zu schicken. Der Bock soll die Sünden mit sich nehmen und in der Wüste sterben, wodurch die Israelit*innen von ihren Missetaten freigesprochen sind.

Medea wird in dem Roman zu einem sprichwörtlichen Sündenbock, indem ihr alle möglichen Taten und Verbrechen angelastet werden. Zuerst herrscht in Korinth eine relative Religionsfreiheit und auch Kolcher*innen dürfen ihre religiösen Feste begehen. Auch Medea darf ihre Kleidung, die traditionell in Kolchis getragen wird, weitertragen und ihre Haare offen tragen, obwohl Frauen in Korinth ihre Haare mit einem Tuch bedecken.

Dies kann auch auf eine Sonderbehandlung von Medea zurückgeführt werden, da sie selbst eine Königstochter ist und nicht als einfache Frau in Korinth ankommt. Doch sobald sie durch ihre Wahrheitssuche eine Gefährdung für die Königsfamilie darzustellen droht, werden ihre Privilegien als Fremde stark eingegrenzt. Auch Medeas Aussehen wird durch ihre dunkle Hautfarbe und ihr krauses Haar beschrieben, was in Korinth unübliche äußerliche Merkmale sind. Sie wird mehr und mehr zur Fremden stigmatisiert und ihr Bewegungsraum wird drastisch eingeschränkt.

Darin kann eine Metapher für die rassistischen Ausschreitungen gesehen werden, die sich kurz nach der deutschen Wiedervereinigung zugetragen haben. Sobald Medea zu viele Fragen stellt, die das Staatsgeheimnis entlarven könnten, wird ihre Fremdheit verwendet, um ihr immer mehr Straftaten anzuhängen. Ihre Fähigkeiten als Heilerin werden instrumentalisiert, um ihr vorzuwerfen, dass sie ein Erdbeben und den Ausbruch der Pest in der Stadt verursacht hätte.

Mit der deutschen Wiedervereinigung kam es in den 1990-er Jahren zu einem Erstarken von rechtsextremen Bewegungen. Die Gruppierungen aus dem Westen und aus dem Osten konnten sich nun zusammenschließen. Durch eine große Erwerbslosigkeit und generelle Unzufriedenheit in der ehemaligen DDR, schlossen sich viele, vordergründig junge Menschen, den Extremisten an. Es kam zu Anschlägen und Gewalttaten gegenüber Asylbewerber*innen und nicht weißen Deutschen.

Das Zitat, das dem Monolog von Leukon vorangestellt ist, untermauert das Motiv des Sündenbocks in "Medea. Stimmen". Es stammt von dem Anthropologen René Girard und behandelt das Phänomen, dass in Gesellschaften eine einzelne Person gesucht wird, der man alle Verbrechen anlasten kann, um sie von sich selbst zu stoßen. Auch Leukon begreift, dass Medea besonders wegen ihres Status als Fremde in Gefahr schwebt und warnt sie:

Medea ist verloren. Was wird aus uns, Leukon, sagt sie, und ich habe nicht das Herz, ihr zu sagen, was ich weiß, was ich sehe, was aus ihr wird. [...] Sie tut, was sie nicht tun sollte, sie schlägt meine Warnungen in den Wind, und mit Oistros ist überhaupt nicht zu reden.

In dem Zitat wird deutlich, dass Leukon weiß, dass Medea den Massen zum Opfer fallen wird, da sie bereits für die Pest verantwortlich gemacht wurde. Gleichzeitig ist er sich aber auch über seine eigene Machtlosigkeit bewusst und verzweifelt darüber. Es gibt letztendlich keine Möglichkeit, Medea vor der bevorstehenden Katastrophe zu bewahren.

"Medea-Stimmen" – Christa Wolf

Christa Wolf wurde 1929 in Landsberg geboren und starb 2011 in Berlin. Am Ende des Zweiten Weltkrieges floh sie mit ihrer Familie vor der Roten Armee nach Mecklenburg, wo sie 1949 die Schule beendete. Sie trat daraufhin in die SED ein und studierte Germanistik in Jena und Leipzig. 1951 heiratete sie Gerhard Wolf, der ebenfalls als Schriftsteller arbeitete. Das Paar lebte bis zu dem Tod von Christa Wolf zusammen und es gingen zwei Töchter aus der Ehe hervor.

Neben ihren schriftstellerischen Tätigkeiten arbeitete Christa Wolf auch als Lektorin und Herausgeberin. Von 1955 bis 1977 war sie Mitglied des Vorstandes des Schriftstellerverbandes der DDR, aus dem sie später wegen politischer Differenzen zwischen ihr und der SED-Regierung ausgeschlossen wurde.

Nach der Wiedervereinigung und ihrem Geständnis für die Stasi tätig gewesen zu sein, entbrannte ein öffentlicher Streit über ihre Person. Einige waren überzeugt, dass ihr bereits verliehene Preise wieder entzogen werden sollten. Christa Wolf erklärte, dass sie keine Wahl gehabt hätte und sie auch keine Informationen weitergegeben hätte, die jemandem hätten schaden können. Wolf zog sich schließlich aus der politischen Öffentlichkeit zurück und arbeitete von da an nur noch literarisch.

Die Entstehung von "Medea Stimmen"

Christa Wolf hat die Recherchen zu dem Roman "Medea. Stimmen" in Los Angeles durchgeführt. Dabei hat sie vorrangig Quellen verwendet, die vor der Tragödie von Euripides datiert sind. In diesen Quellen war Medea niemals die Mörderin ihrer Kinder oder ihres Bruders.

Wolf hat das Hauptaugenmerk des Romans auf die Intertextualität und die Wahrnehmung Medeas als Kindermörderin gelegt. So wie Medea von Euripides zur Kindermörderin gemacht wurde, wird sie es in Wolfs Roman durch Akamas. Doch es gibt noch andere Details, die Wolfs Medea Euripides` Tragödie unterscheiden.

Wolf stellt auch die Fähigkeiten von Medea anders dar, als es bei Euripides der Fall war. In der Tragödie werden die Zauberkünste von Medea als angsteinflößend und unberechenbar dargestellt. In Christa Wolfs Roman wird Medea zwar von einigen Korinthern als Zauberin bezeichnet, allerdings weist sie es selbst von sich. Sie hat den "zweiten Blick", der ihre heilenden Fähigkeiten darstellt und den sie von ihrer Mutter geerbt hat.

Das wichtigste Gestaltungsmittel des Romans ist der Monolog. Die Autorin selbst nennt diese einzelnen Erzählungen bereits im Titel "Stimmen", was sie in einer Vorbemerkung folgendermaßen erklärt:

Kindsmörderin? Zum ersten Mal dieser Zweifel. Ein spöttisches Achselzucken, ein Wegwenden, sie braucht unseren Zweifel nicht mehr, nicht unser Bemühen, ihr gerecht zu werden, sie geht. Uns voran? Von uns zurück? [...]

Neben uns, so hoffen wir, die Gestalt mit dem magischen Namen, in der die Zeiten sich treffen, schmerzhafter Vorgang. In der unsere Zeit uns trifft. Die wilde Frau.

Jetzt hören wir Stimmen.

Es wird deutlich, dass Christa Wolf die Figuren als Stimmen bezeichnet, die durch die verschiedenen Zeiten hindurch hörbar bleiben. Sie hat durch ihre Recherche diese Stimmen in die Gegenwart gebracht und versteht deren Aussagen auch als einen Kommentar auf die heutige Zeit. Der Roman selbst gehört der Epoche der Postmoderne an. Diese literarische Epoche zeichnet sich besonders dadurch aus, dass bekannte Stilmittel und Stoffe neu aufgegriffen und auf aktuelle politische Situationen angewandt werden.

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Medea-Stimmen - Das Wichtigste

  • "Medea. Stimmen" ist ein Roman von Christa Wolf und 1996 erschienen. Er behandelt den antiken Medea-Mythos und erzählt die Geschichte in 11 Monologen aus der Sicht von 6 Charakteren.
  • In "Medea. Stimmen" geht es um die mythologische Figur Medea, die als Fremde in Korinth lebt und der verschiedene Verbrechen angehangen werden, die sie aber nicht begangen hat.
  • Die Figuren, aus deren Sicht der Roman erzählt ist, lassen sich in Freunde und Feinde von Medea einordnen. Es kommen ebenso viele Korinther*innen, wie Kolcher*innen zu Wort. Die titelgebende Hauptfigur Medea hat mit vier Monologen den größten Redeanteil des Romans.
  • Die Sprache in "Medea. Stimmen" variiert je nach sprechender Figur und spiegelt häufig den Charakter und auch die soziale Herkunft der sprechenden Figur wider.
  • Die berühmteste Interpretation des Medea-Mythos stammt von dem Dichter Euripides, in dessen Tragödie Medea sowohl ihren Bruder, als auch ihre Kinder ermordet.
  • Ein möglicher Interpretationsansatz für "Medea. Stimmen" ist, ihn bezüglich der deutschen Wiedervereinigung zu deuten. Das östliche Kolchis würde für die DDR und das westliche Korinth für die BRD stehen. Auch die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen beiden Ländern können anhand von Ost- und Westdeutschland gedeutet werden.
  • Über das Motiv des Sündenbocks in "Medea. Stimmen" kann der Roman auch bezüglich gesellschaftlicher Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz interpretiert werden. Medea wird in der Geschichte auch wegen ihres Status als Fremde zum Sündenbock erkoren und verbannt.
  • Christa Wolf lebte von 1929 bis 2011. Sie verbrachte den größten Teil ihres Lebens in der DDR.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Medea-Stimmen

"Medea Stimmen" ist ein Roman von Christa Wolf. 

In "Medea Stimmen" geht es um die mythologische Figur Medea, die in der Tragödie von Euripides ihre beiden Kinder ermordet hat. In dem Roman von Christa Wolf ist sie Opfer einer Intrige, die ihr dieses und weitere Verbrechen, die sie nicht begangen hat, anlastet. Dies kann feministisch ausgelegt werden, allerdings weist der Text noch weitere Deutungsmöglichkeiten auf. 

Medea bringt ihre Kinder in der Tragödie "Medea" von Euripides um, weil sie sich an ihrem Mann Jason rächen will. In Christa Wolfs Roman "Medea. Stimmen" werden ihre Kinder im Auftrag des Königshauses von Korinth umgebracht und es wird die Lüge verbreitet, dass Medea diese Tat begangen hätte. Dadurch soll sie für immer aus der Gesellschaft ausgestoßen bleiben. 

In der Tragödie von Euripides bringt Medea ihren Bruder um, als sie mit Jason aus Kolchis flieht. In dem Roman "Medea Stimmen" wird ihr Bruder Absyrtos im Auftrag seines Vaters Aietes umgebracht, da der Sohn dessen Macht als König gefährdet hat. Aietes lässt das Gerücht verbreiten, dass seine Tochter Medea die Tat begangen hätte. 

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Wann ist der Roman "Medea. Stimmen" erschienen?

Wer hat den Roman "Medea. Stimmen" geschrieben?

In der Tragödie "Medea" von _______ bringt die titelgebende Figur ihre Kinder und ihren Bruder um. 

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