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„An einem unfreundlichen Novembertag wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen, reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihn ordentlich von diesem Drehen und Reiben.6
In der Erzählung "Kleider machen Leute" von Gottfried Keller dient der Erzähler dazu, den Lesenden alle Informationen bezüglich des Schneiderleins und seinen Erlebnissen zu geben. Alles, was geschieht, wird bis ins kleinste Detail beschrieben. Der Stil, den ein Erzähler nutzt, um über die in der Erzählung vorhandenen Figuren zu berichten, nennt sich Erzählverhalten.
Gottfried Keller war ein Schweizer Politiker und Dichter. Er wurde im Jahr 1829 geboren und starb im Jahr 1890.
Das Erzählverhalten kommt als bestimmtes Merkmal nur in der literarischen Gattung der Epik vor. In jedem epischen oder erzählenden Text gibt es eine, von den Autorinnen und Autoren erfundene, Figur oder Instanz, die die Geschehnisse erzählt. Diese Person wird Erzähler genannt.
Die Epik kann, neben der Dramatik und der Lyrik, als eine der drei großen Gattungen der Literatur beschrieben werden. Sie umfasst alle fiktionalen und erzählenden Texte (in Vers- oder Prosaform). Weitere ausführliche Informationen zur "Epik" und zum "Erzähler" finden sich in den entsprechenden Erklärungen.
Der Erzähler vermittelt zwischen den Lesenden und den dargestellten Vorgängen und äußert gegebenenfalls seine eigenen Ansichten.
In einem erzählenden Text nimmt dieser Erzähler immer einen gewissen Standpunkt oder einen Blickwinkel ein, von dem aus er das Geschehen betrachtet. Angesichts dessen spricht man auch von der Erzählperspektive. Der Stil, den dieser Erzähler verwendet, um von den handelnden Figuren zu berichten, wird als Erzählverhalten bezeichnet.
Die Erzählperspektive beschreibt, von welchem Blickpunkt aus der Erzähler die Begebenheiten beschreibt.
Die Erzählweise der Erzählperspektive erfolgt entweder aus der Innensicht oder aus der Außensicht. Während der Erzähler bei der Innensicht in das Innere der Figuren sieht, beschreibt er bei der Außensicht nur äußerlich wahrnehmbares.
Innensicht:
Endlich hatte Lina ein Haustier. Sie hatte es sich schon so lange gewünscht und nun saß die Katze Leo friedlich auf ihrem Schoß und schnurrte.
Außensicht:
Anna sah Tim die Treppe hinaufsteigen. "Ist das nicht Tim?", fragte sie ihre Freundin Lina.
Das Erzählverhalten kann als die Art und Weise verstanden werden, mit der der Erzähler von den handelnden Figuren berichtet. Es werden drei Formen des Erzählverhaltens unterschieden: Das auktoriale, das personale und das neutrale Erzählverhalten.
In der auktorialen Erzählsituation gehört der Erzähler selbst nicht zu der Geschichte, die er erzählt, sondern befindet sich an einem, von den Ereignissen distanzierten Standort. Jemand erzählt folglich allwissend die Geschichte von einer oder mehreren Figuren und ist dabei nicht Teil des Ganzen. Stattdessen schildert er die Ereignisse von außen und tritt in die Rolle eines Vermittlers oder Urheber. Er kann insbesondere Zusammenhänge zwischen zukünftigen oder vergangenen Ereignissen herstellen und Kommentare oder Wertungen abgeben (Erzählerrede).
Durch seine allwissende Stellung ist er ebenso in der Lage, Handlungen verschiedener Figuren gleichzeitig zu schildern. Somit hat er Kenntnis über die Gedanken und die Emotionen seiner Figuren und betrachtet die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven.
Sowohl die Figuren und die Lesenden als auch der Erzähler teilen ein Wertesystem, wodurch die Identifikation mit der Hauptfigur leichtgemacht wird. Alle Aussagen des auktorialen Erzählers können aus diesem Grund als wahr und glaubhaft gesehen werden und entsprechen stets denen zur Entstehungszeit gegenwärtigen gesellschaftlichen Werten und Normen.
Deshalb wird der auktoriale Erzähler auch oft als allwissender Erzähler bezeichnet.
Häufig kommt es auch zu Erzählsituationen, in denen der Erzähler selbstreflektierte Wendungen aufweist und das Geschichtenerzählen selbst thematisiert, die Lesenden belehrt oder Ähnliches. In diesen Textstellen ist die 3. Person vorherrschend. Die berichtende Erzählweise wird als die Grundform des auktorialen Erzählens gewertet. Eine szenische Darstellung hingegen tritt in den Hintergrund.
Während Kathy den Regen am Fenster beobachtet und schnaubend die Decke enger um sich wickelt, sieht ihre Mutter sie mit einem schmunzelnden Blick an. Kathy mag den Regen nicht und ihre Mutter will ihr mit einem heißen Kakao die Wartezeit verkürzen. Schon in wenigen Minuten wird Kathy wieder draußen in den Pfützen spielen können.
In diesem Beispiel finden sich ein Personalpronomen in der 3. Person Singular "Sie" und das Possessivpronomen "ihre". Es handelt sich hier somit um einen Er-/Sie-Erzähler.
Weiterführend tritt jedoch neben Kathy ihre Mutter in Erscheinung und der Erzähler berichtet neben Kathys Empfindungen auch über die Absichten ihrer Mutter. Im letzten Satz wird der auktoriale Er/Sie-Erzähler ganz deutlich: Der Erzähler hat das Wissen darüber, was in der Zukunft passieren wird.
Ausschlaggebend ist dabei, dass man diese Information nicht durch den Protagonisten selbst oder durch ein Gespräch, also mittels wörtlicher Rede, erfährt. Auch wird dieses Detailwissen nicht durch eine Handlung, die durch einen Außenstehenden beobachtet wird, an die Lesenden herangetragen. Stattdessen vermittelt eine allwissende Instanz dieses Wissen.
Das auktoriale Erzählverhalten findet sich in den folgenden Erzählweisen: Erzählerbericht (auch das personale und das neutrale Erzählverhalten kann sich in der Erzählweise des Erzählerberichtes finden!), indirekte Rede und Erzählerkommentar.
Bei der indirekten Rede wird der Wortlaut einer Aussage nur sinngemäß wiedergegeben und nicht in wörtlicher Rede. Unter einem Erzählerbericht werden sämtliche Äußerungen des Erzählers in einem epischen Werk verstanden. Äußerungen der handelnden Personen, wie: "Ben sagte …", gelten hingegen als Personenrede bezeichnet. Der Erzählerkommentar ist eine Darbietung des Erzählens und eine Form des Erzählerberichtes.
Das personale Erzählverhalten tritt erst im Roman der Moderne, wie bei Kafka, auf. Im Fall des personalen Erzählers wird den Lesenden nicht bewusst, dass es einen Erzähler gibt. Denn im Gegensatz zum auktorialen Erzähler erfolgt die Erzählung aus Sicht einer oder mehrerer bestimmter Figuren, der sogenannten Reflektorfigur.
Die Reflektorfigur hilft bei der Analyse des Erzählverhaltens in epischen bzw. narrativen Werken
Durch das häufige Zurückgreifen auf die Personalpronomen "Er" und "Sie", wird der personale Erzähler oft auch als Er/Sie-Erzähler bezeichnet.
Wenn der Erzähler zwischen verschiedenen Perspektiven wechselt, spricht man von einer Multiperspektive. Hierbei wird zwischen den Personen oder Orten gewechselt, auf die der Erzähler sich bezieht.
Während der Regen an Kathys Fenster prasselt, kann sie den Blick nicht von den Regentropfen abwenden. Sie sammeln sich am Glas, rasen hinunter und jagen einander. Kathy hebt eine Hand an das Glas und spürt hierbei die Kälte, die eine Gänsehaut auf ihren Armen hinterlässt. Schnaubend wickelt sie die Decke enger um sich. Wie lange dieser Schauer wohl noch anhalten wird? Plötzlich betritt Kathys Mutter das Zimmer. Sie ist schlank, hat grüne Augen und rote Haare. In ihren Händen hält sie eine Tasse verführerisch duftenden Kakao.
In diesem Beispiel werden zunächst Kathys Erlebnisse geschildert, dann kommt es zu einem Wechsel. Nun steht ihre Mutter im Mittelpunkt und der Erzähler beschreibt ihre Perspektive.
Die Lesenden sind an die subjektive Sicht des Erzählenden gebunden. So sind Voraussagen oder Berichte über Geschehnisse, die anderorts geschehen, nicht zu erwarten oder diesen Aussagen sollte nicht unbedingt Glauben geschenkt werden. Die Lesenden erhalten nur einen eingeschränkten Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt der bestimmten Reflektorfigur.
Die erzählte Wahrnehmung ist besonders von den Empfindungen des Gemütszustandes der jeweiligen Figur abhängig. Somit ist die Sichtweise auf das Erzählende durch die Übernahme dieser Perspektive limitiert.
Hierdurch wird verursacht, dass die Lesenden sich nicht mit der Figur identifizieren können, sondern gezwungen sind, den Erzähler zu hinterfragen und selbst zu einem Urteil zu kommen. Demnach gibt es kein gemeinsames Wertesystem zwischen Erzähler, Figur und den Lesenden. Im Gegensatz zur auktorialen Erzählperspektive treten auktoriale Berichte in den Hintergrund und personale Erzählelemente nehmen zu, d. h. die Figurenrede tritt in den Vordergrund.
K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid […].7
In diesem Beispiel, aus Kafkas Kurzgeschichte "Der Prozess", wird der Protagonist K. vorgestellt und den Lesenden deutlich gemacht, dass dieser wartet.
Franz Kafka war ein deutschsprachiger Schriftsteller. Er wurde im Jahr 1883 in Tschechien geboren und ist im Jahr 1924 in Österreich gestorben.
Eine Kurzgeschichte ist eine kurze Form der Erzählung. Weitere ausführliche Informationen zu den Themen "Kurzgeschichte" und "Der Prozess" finden sich in den jeweiligen Erklärungen.
Daraufhin wird aufgezeigt, was K. sieht und dass es läutet. Folglich berichtet K. von einem Mann, der ins Zimmer tritt und von K. noch nie zuvor gesehen wurde. An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass es sich um einen personalen Erzähler handelt. Denn das Wissen des Erzählers ist abhängig von der dargestellten Figur, somit wird den Lesenden nicht berichtet, um was für einen Mann es sich handelt.
Die Sichtweise des Erzählers beschränkt sich folglich auf die Perspektive von K. Auch wird die handelnde Figur entweder durch seinen Namen K. oder durch "Er" genannt.
Das personale Erzählverhalten findet sich in den folgenden Erzählweisen: Briefe (schriftliche Mitteilungen), Monologe (Gespräche mit sich selbst) und direkte Rede (wörtliche Rede).
Sowohl dem personalen als auch dem auktorialen Erzähler ist es formal möglich, die Geschehnisse in der Er-/Sie-Perspektive oder in der Ich-Perspektive zu beschreiben. Es gibt daher den personalen bzw. den auktorialen Er-/Sie- oder den personalen bzw. den auktorialen Ich-Erzähler. Bei beiden Perspektiven können sich die Lesenden mit der jeweiligen Person und ihrer Sichtweise identifizieren.
Der neutrale Erzähler zeichnet sich vordergründig dadurch aus, dass er weder als erkennbare auktoriale Erzählinstanz in die Ereignisse eingreift, noch handelt es sich um einen individuellen Blickwinkel einer bestimmten Figur. Somit ist er nicht in der Lage, in die Gefühls- und Gedankenwelt einer Figur hineinzusehen und über diese zu berichten.
Die Lesenden sind folglich darauf angewiesen, durch wörtliche Rede mehr über das Innere einer Figur zu erfahren, indem diese Figuren über sich selbst sprechen und etwas von sich preisgeben. Der neutrale Erzähler nimmt einen unsichtbaren Standpunkt ein und verzichtet dabei auf Urteile, Kommentare oder Interaktionen mit den Lesenden. Aufgrund dessen spricht man häufig auch vom erzählerlosen Erzählen. Texte mit einem neutralen Erzähler weisen oft umfangreiche szenische Darstellungen auf.
Häufig wird die neutrale Erzählweise für eine sachliche und nüchterne Darstellung verwendet, da sie das Gezeigte wertungsfrei an die Lesenden heranträgt.
Beispiele:
Und hoffe, mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du.8
In diesen Beispielen, aus der Kurzgeschichte "Effi Briest" von Theodor Fontane, stehen die Aussagen der Sprechenden für sich.
Theodor Fontane war ein deutscher Journalist, Kritiker und Schriftsteller. Er war ein bedeutender Vertreter des Realismus. Im literarischen Realismus haben es sich die Autorinnen und Autoren zur Aufgabe gemacht, die fassbare Welt objektiv zu beschreiben. Fontane wurde im Jahr 1819 geboren und ist im Jahr 1898 gestorben.
Weitere ausführliche Informationen zu dem Thema "Effi Briest" finden sich in der Erklärung.
Der neutrale Erzähler ermöglicht den Lesenden somit einen Einblick in die Gesprächssituation. Allerdings nimmt er selbst keine Wertung vor oder gibt Kommentare dazu ab. Auch die Dialogform ist ein Merkmal des neutralen Erzählverhaltens. Die Lesenden erhalten keinen Einblick in das Innenleben der Figuren. Die Geschehnisse werden vielmehr von außen aufgezeigt.
Das neutrale Erzählverhalten findet sich in der Erzählweise des Dialogs (Gespräch). Der Dialog stellt die Reinform des neutralen Erzählens dar.
Ein auktorialer Erzähler wird häufig auch als allwissender Erzähler bezeichnet. Er blickt von außen auf das Geschehen und weiß, sowohl, was in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart und Zukunft geschieht. Da er über Wissen über die Gedanken und Gefühle der Figuren verfügt, kann er die Ereignisse kommentieren und werten.
Die Erzählweise der Erzählperspektive erfolgt bzgl. des Geschehenen entweder aus der Innensicht oder aus der Außensicht. Während der Erzähler bei der Innensicht in das Innere der Figuren sieht, beschreibt er bei der Außensicht nur äußerlich Wahrnehmbares.
Man unterscheidet zwischen dem auktorialen, dem personalen und dem neutralen Erzählverhalten.
Bei dem auktorialen Erzählverhalten nimmt der Erzähler eine allwissende Position ein. Beim personalen Erzählverhalten ist das Wissen des Erzählers auf eine oder mehrere Figuren beschränkt und ist beeinflusst durch dessen Gefühlsleben. Beim neutralen Erzählverhalten erhalten die Lesenden einen Einblick von außen auf die Geschehnisse, ohne dass kommentiert wird oder man etwas über das Innenleben der Figuren erfährt. Dies geschieht nur mittels der wörtlichen Rede.
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