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Die Kindermörderin

Das Drama "Die Kindermörderin" von Heinrich Leopold Wagner aus dem Jahr 1776 kritisiert die gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit hart und deutlich. Zum einen äußert sich Wagner gesellschaftskritisch über die Trennung von Bürgertum und Adel, zum anderen prangert er die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft an. Aufgrund der Brisanz der Themen wurde das Werk zunächst anonym veröffentlicht

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Das Drama "Die Kindermörderin" von Heinrich Leopold Wagner aus dem Jahr 1776 kritisiert die gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit hart und deutlich. Zum einen äußert sich Wagner gesellschaftskritisch über die Trennung von Bürgertum und Adel, zum anderen prangert er die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft an. Aufgrund der Brisanz der Themen wurde das Werk zunächst anonym veröffentlicht.

Im Zentrum des Dramas steht Evchen Humbrecht, eine junge Frau aus dem Bürgertum, die von einem adeligen Offizier vergewaltigt und geschwängert wird, um abschließend einer Intrige zum Opfer zu fallen.

"Die Kindermörderin" – Inhalt

Erster Akt

Evchen Humbrecht und ihre Mutter haben die Abwesenheit von Evchens strengem Vater genutzt, um mit Leutnant von Gröningseck einen Karnevallsball zu besuchen. Gegen halb drei schlägt Gröningseck vor, den Ball zu verlassen. Zu dritt betreten sie ein einfaches Wirtshaus, das sich wenig später als Bordell herausstellen wird. Das ist Evchen und ihrer Mutter allerdings nicht bekannt.

Die beiden Frauen gehen ins Nebenzimmer, um sich umzuziehen. Leutnant von Gröningseck wird von der Magd Marianel in ein Gespräch verwickelt, aus dem hervorgeht, dass sie eine Prostituierte und Gröningseck ihr Freier ist. Gröningseck bietet ihr Geld, wenn sie den Punsch von Evchens Mutter mit einem Schlafmittel versetzt.

Nachdem sie sich umgezogen haben, kehren Evchen und ihre Mutter wieder zurück. Frau Humbrecht trinkt den Punsch und schläft ein. Evchen kann sich den Zustand ihrer Mutter nicht erklären und ist zutiefst besorgt. Sie versucht, die Annäherungsversuche von Gröningseck abzuwehren und flüchtet in ein Nebenzimmer. Gröningseck folgt ihr und vergewaltigt sie dort.

Währenddessen unterhalten sich Marianel und die Wirtin im Hauptraum. Sie beachten die eindeutigen Geräusche nicht, die aus dem Nebenzimmer kommen. Den Moment der Ungestörtheit nutzt Marianel, um die Tabakdose von Frau Humbrecht zu stehlen.

Nach begangener Tat treten Evchen und Gröningseck wieder in den Hauptraum. Evchen ist vollkommen verzweifelt und in Tränen aufgelöst. Gröningseck verspricht ihr, sie in fünf Monaten zu heiraten und damit ihren Ruf zu retten. Evchen verspricht, das Geschehene bis dahin für sich zu behalten.

Zweiter Akt

Evchens Eltern geraten in einen Streit darüber, dass Mutter und Tochter am Vorabend auf einem Ball waren. Herr Humbrecht vertritt dabei die Meinung, dass sich das für Personen bürgerlichen Standes nicht gehört. Seine Frau wirft ihm vor, zu streng zu sein. Magister Humbrecht betritt die Szene. Seine Anwesenheit wird von Frau Humbrecht prompt genutzt, um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Er teilt ihren Standpunkt, woraufhin Herr Humbrecht empört den Raum verlässt.

Bei einem Magister handelt es sich um einen Geistlichen, also um einen ausgebildeten Theologen.

Gröningseck kommt hinzu und provoziert den Magister. Als sich das Thema des Gesprächs Erziehungsfragen zuwendet, zeigt sich Gröningseck allerdings angenehm überrascht von den fortschrittlichen Ansichten des Magisters.

Evchen taucht auf und verhält sich Gröningseck gegenüber zurückhaltend. Sie erinnert ihn diskret an das Eheversprechen, das er ihr gegeben hat. Kurz darauf verlassen Gröningseck und der Magister die Szene. Mittlerweile ist Frau Humbrecht aufgefallen, dass sie nicht mehr im Besitz ihrer Tabakdose ist.

Evchens Vater kehrt zurück. Er ist wütend über eine junge Frau, die unter seinem Dach lebt und sich mit einem Offizier eingelassen hat. Er plant, sie vor die Tür zu setzen. Evchen denkt, dass ihr Vater sie meint, obwohl er von einer Magd spricht. Sie fleht ihren Vater daraufhin um Gnade an, der die Geste als Entschuldigung dafür interpretiert, am Abend zuvor auf den Ball gegangen zu sein. Er zeigt sich versöhnlich, macht aber gleichzeitig deutlich, dass er eine Wiederholung des Vorfalls nicht tolerieren würde.

Dritter Akt

Die fünfmonatige Frist, die Gröningseck Evchen genannt hat, ist mittlerweile verstrichen. Gröningseck führt ein Gespräch mit seinem Kameraden Hasenpoth. Dieser kann nicht verstehen, warum Gröningseck sich seit dem Karnevallsball verändert hat und möchte ihn dazu animieren, wieder mit Frauen auszugehen und Spaß zu haben. Aus dem Gespräch geht hervor, dass Hasenpoth derjenige war, der das Schlafmittel besorgt hat, das Gröningseck Frau Humbrecht verabreicht hat. Mittlerweile scheint Gröningseck die Vergewaltigung zu bereuen. Er nimmt Evchen und ihre Tugend in Schutz.

Der Magister betritt die Szene. Gröningseck erkundigt sich nach Evchens Wohlbefinden, woraufhin sich der Magister besorgt zeigt. Evchen verfalle immer mehr ihrer Ernsthaftigkeit und Traurigkeit, ihre einzige Lektüre seien die "Nachtgedanken" von Edward Young.

In den "Nachtgedanken" befasst sich Edward Young mit seinen melancholischen Gedanken über den Tod, die Vergänglichkeit des Lebens und die Unsterblichkeit.

Gröningseck zeigt sich besorgt um das Wohlergeben von Evchen und bittet den Magister, ihr das auszurichten, um sie etwas zu besänftigen.

Kurz darauf kommt Major Lindsthal hinzu. Er verkündet, dass Gröningsecks Urlaubsgesuch genehmigt wurde und verliert sich in Ausführungen über die Soldatenehre und Duelle. Lindsthals Ansichten sind der Auslöser für eine Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Magister. Die Unterschiede zwischen adeliger und bürgerlicher Gesinnung werden im Gespräch der beiden deutlich, da der Magister – bevor er seine Position als Geistlicher eingenommen hat – zum Bürgertum gehörte, während Lindsthal den Adel verkörpert.

Nachdem Gröningseck und Hasenpoth wieder allein sind, weiht Gröningseck seinen Freund in sein Vorhaben ein: Er möchte die schwangere Evchen heiraten, obwohl die Ehe nicht standesgemäß wäre und das somit bedeuten würde, dass Gröningseck den Militärdienst quittieren müsste.

Bei einer nicht standesgemäßen Ehe befindet sich ein Ehepartner – in der Regel die Frau – in einer gesellschaftlich niederen Position und wird dem anderen Ehepartner gegenüber als nicht ebenbürtig betrachtet.

Hasenpoth zeigt sich entsetzt über das Vorhaben seines Freundes und beschließt, die Hochzeit durch eine Intrige zu verhindern.

Vierter Akt

Evchen und ihre Mutter warten auf die Rückkehr des Vaters. Frau Humbrecht nutzt diesen Moment, um Evchen auf ihr verändertes Verhalten und ihren Gemütszustand anzusprechen. Dabei wirft sie ihrer Tochter vor, ihren Eltern nicht mehr zu vertrauen und Geheimnisse vor ihnen zu haben. Evchen kann ihre Mutter nicht vom Gegenteil überzeugen. Herr Humbrecht kehrt zurück und klinkt sich lautstark und aufbrausend in das Gespräch ein.

Nachdem Mutter und Vater zu Bett gegangen sind, betritt Gröningseck die Szene. Er wiederholt sein Eheversprechen, kündigt jedoch gleichzeitig an, sich für längere Zeit verabschieden zu müssen. Er verspricht Evchen, in zwei Monaten zurück zu sein.

Evchen eröffnet Gröningseck, dass ihre Eltern den Magister gerne als Schwiegersohn sähen. Für ihre eigene Zukunft sieht Evchen schwarz und ahnt ein furchtbares Schicksal voraus. Evchen küsst Gröningseck zum Abschied, um ihn an sein Heiratsversprechen zu erinnern.

Fünfter Akt

Die zwei Monate sind vergangen und Gröningseck hat sein Eheversprechen nicht eingelöst. In den frühen Morgenstunden tauschen Evchen und die Magd Lissel ihre Kleider, sodass Evchen das Haus unerkannt verlassen kann. Während Evchen verschwindet, wirft Lissel ihr einen sorgenvollen Blick hinterher.

Der Magister besucht die Humbrechts und berichtet dem Vater vom gestrigen Gottesdienst. Er habe eine Predigt über Unkeuschheit und Kindsmord gehalten und konnte beobachten, wie Evchen dabei fast das Bewusstsein zu verlieren schien. Während Evchens Vater es normal findet, dass ein junges Mädchen sich bei solchen Themen aufgewühlt zeigt, empfindet der Magister ihr Verhalten als verdächtig.

Frau Humbrecht kommt hinzu. Der Magister zeigt nun einen Brief, in dem sich Gröningseck vermeintlich an den Vater von Evchen wendet. In dem Brief schreibt er, dass er Evchen nicht heiraten werde, aber bereit sei, finanziell auszuhelfen. Frau Humbrecht bezweifelt, dass der Brief tatsächlich von Gröningseck stammt und verlässt wütend den Raum. Der Magister und Evchens Vater sind einer Meinung, Herr Humbrecht droht seiner Tochter mit Gewalt, sollten sich die Aussagen aus Gröningsecks Brief als wahr herausstellen.

Kurz darauf betritt der Gerichtsdiener Fausthammer die Szene und händigt Herrn Humbrecht die verloren geglaubte Tabakdose aus. Humbrecht kann den Gerichtsdiener nicht leiden, da dieser einmal ein bettelndes Kind totgeschlagen hat. Er prügelt den Gerichtsdiener aus seinem Haus.

Frau Humbrecht kehrt aufgeregt wieder zurück und verkündet, dass Evchen nicht auffindbar sei. Die Eltern sind aufgelöst und verzweifelt, ihnen dämmert mittlerweile, dass der Magister mit seiner Deutung von Evchens Verhalten während des Gottesdienstes richtig lag.

Der Gerichtsdiener kehrt zurück, dieses Mal allerdings mit Verstärkung. Er ist in Begleitung eines Kollegen und eines Polizeibeamten, einem Fiskal. Der Polizeibeamte erhebt wegen der Handgreiflichkeiten schwere Vorwürfe gegen Herrn Humbrecht.

Bei einem Fiskal handelt es sich um einen Polizeibeamten, also um einen Vertreter der staatlichen Gewalt.

Gleichzeitig enthüllt sich das Geheimnis um die verloren geglaubte Tabakdose: Die Polizei konnte die Tabakdose bei der Magd Marianel ausfindig machen und die Spur bis ins Wirtshaus zurückverfolgen. Es kommt heraus, dass es sich bei dem Wirtshaus um ein Bordell handelt und Evchens Mutter beginnt, das ganze Ausmaß der Geschehnisse zu erahnen.

Die Magd Lissel berichtet Evchens Eltern schließlich von dem Kleidertausch, woraufhin sich die Gerichtsdiener auf die Suche nach dem jungen Mädchen machen.

Sechster Akt

Evchen ist mittlerweile bei der Lohnwäscherin Frau Marthan untergekommen. Dort bringt sie ihr Kind zur Welt, kann es allerdings nicht stillen. Evchen gibt sich immer mehr ihrer eigenen Verzweiflung und ihrem Elend hin. Durch Frau Marthan erfährt Evchen von dem Klatsch, der in der Stadt über ihre Familie kursiert.

Als Frau Marthan Evchen erzählt, dass Frau Humbrecht vor Kummer umgekommen sei, bricht Evchen zusammen und offenbart der Lohnwäscherin ihre wahre Identität. Sie schlägt Frau Marthan zudem vor, Evchens Aufenthaltsort an den Vater zu melden und dadurch die Belohnung zu kassieren, die auf Evchen ausgesetzt ist. Frau Marthan bricht auf und lässt Evchen allein zurück.

Evchens Äußerungen werden immer verworrener, sie scheint dem Wahnsinn zu verfallen. Mit einem Nadelstich in die Schläfe tötet sie ihr schreiendes Kind. Als Frau Marthan, Evchens Vater und der Magister die Szene betreten, können sie nur noch den Tod des Kindes feststellen.

Es stellt sich heraus, dass die Familie Humbrecht einer Intrige von Leutnant Hasenpoth zum Opfer gefallen ist. Gröningseck konnte die Frist seines Eheversprechens aufgrund einer schweren Erkrankung nicht einhalten. Den Brief hatte nicht er, sondern sein Freund Hasenpoth aufgesetzt.

Leutnant von Gröningseck kommt schließlich hinzu. Sein Kind ist tot, Evchen sieht einer Festnahme und Hinrichtung entgegen. Ihr Vater möchte sich selbst mit Rattengift töten. Gröningseck kündigt an, ein Gnadengesuch für Evchen einreichen zu wollen, während Evchen sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden hat. Evchens Vater verspricht Gröningseck finanzielle Unterstützung für sein Vorhaben.

"Die Kindermörderin" – Charakterisierung der Figuren

Evchen Humbrecht

  • Evchen ist die Tochter von Herrn und Frau Humbrecht.
  • Sie gilt als tugendhafte und gefühlsbetonte junge Frau.
  • Sie wird von Leutnant von Gröningseck vergewaltigt und geschwängert.
  • Daraufhin gibt sie sich der Melancholie hin.
  • Sie fällt der Intrige von Leutnant von Hasenpoth zum Opfer.
  • Am Ende tötet sie ihr eigenes Kind aus Verzweiflung.

Leutnant von Gröningseck

  • Gröningseck tritt als unbekümmerter junger Offizier auf.
  • Er steht unter dem Einfluss seines Freundes Hasenpoth.
  • Gröningseck betäubt Frau Humbrecht, um Evchen vergewaltigen und im gleichen Zug schwängern zu können.
  • Er durchläuft im Verlauf des Trauerspiels eine Wandlung. Anfangs tritt er als leichtlebiger Soldat auf, während er am Ende fest entschlossen ist, sein Heiratsversprechen Evchen gegenüber einzulösen.
  • Er bereut seine Tat zutiefst und möchte das Eheversprechen Evchen gegenüber einlösen.

Frau Humbrecht

  • Frau Humbrecht ist die Mutter von Evchen und die Ehefrau von Herrn Humbrecht.
  • Sie wirft ihrem Mann vor, zu streng zu sein.
  • Gleichzeitig zeigt sie sich aufgeschlossen gegenüber den vergnüglichen Seiten, die das Leben zu bieten hat.
  • Sie erkennt die wahren Absichten von Leutnant von Gröningseck erst ganz am Ende.

Herr Humbrecht

  • Herr Humbrecht ist Evchens Vater und der Ehemann von Frau Humbrecht.
  • Er ist darauf bedacht, die Standesgrenzen von Adel und Bürgertum aufrechtzuerhalten. Dabei betont er immer wieder seine bürgerliche Herkunft.
  • Beruflich ist er als Metzger tätig.
  • Er zeigt sich unbeherrscht und impulsiv, ist aber gleichzeitig zu Mitgefühl fähig.
  • Die Familienehre steht für ihn an erster Stelle.

Magister Humbrecht

  • Magister Humbrecht ist der Cousin von Herrn Humbrecht.
  • Er ist ein Geistlicher mit fortschrittlichen Ansichten.
  • Dabei zeigt er sich aufklärerisch und aufgeschlossen.
  • Herr und Frau Humbrecht sähen ihn gerne als Ehemann für ihre Tochter.
  • Magister Humbrecht interessiert sich für Evchen und würde sie gerne zur Frau nehmen.

Leutnant von Hasenpoth

  • Leutnant von Hasenpoth ist ein junger Offizier, dem das eigene Vergnügen über alles geht.
  • Dabei nutzt er junge Frauen ohne Rücksicht aus.
  • Er fädelt die Intrige gegen Evchenein, indem er einen Brief im Namen von Gröningseck aufsetzt.

"Die Kindermörderin" – Analyse von Aufbau und Sprache

Struktur des Dramas

Bei Wagners "Die Kindermörderin" handelt es sich um ein Drama, genauer gesagt um ein bürgerliches Trauerspiel.

Für ein bürgerliches Trauerspiel ist es charakteristisch, dass die Figuren aus dem Bürgertum oder dem niederen Adel stammen. Das Stück endet stets tragisch.

Wagner weicht von der klassischen Gliederung in fünf Akte ab und verzichtet auf eine Einteilung der Akte in verschiedene Szenen. Das Ende des Dramas scheint offen zu bleiben, der Leser erfährt zwar von dem begangenen Kindsmord, die Verurteilung von Evchen wird aber nur angedeutet.

Ebenso wird die klassische Zeitordnung von einem Sonnenlauf, wie sie in der Antike üblich war, durchbrochen. Die Handlung des Stücks erstreckt sich über neun Monate, also über die Dauer der Schwangerschaft der Protagonistin Evchen Humbrecht.

Die Räume werden im Verlauf des Dramas immer intimer. Die Handlung setzt im Zimmer eines Wirtshauses ein und verteilt sich dann auf die Räume im Haus der Familie Humbrecht (Wohnzimmer – Gröningsecks Zimmer – Evchens Schlafzimmer – Wohnzimmer), ehe sich die Ereignisse im Zimmer der Lohnwäscherin Frau Marthan zuspitzen.

Sprachliche Ausgestaltung des Dramas

Wagner orientiert sich sprachlich am Handlungsort Straßburg, so verwendet er nicht nur Dialekte, sondern auch geografische Bezeichnungen aus dem Raum Straßburg. In seinem Stück bedient Wagner die Alltagssprache seiner Zeit.

Straßburg ist eine Stadt im Nordosten Frankreichs und liegt direkt an der Grenze zu Deutschland.

Wagner stellt in seinem Drama vier Sozialbereiche gegenüber:

  • das Bürgertum, dargestellt durch die Familie Humbrecht,
  • den Adel, dargestellt durch die Leutnants von Gröningseck und von Hasenpoth, sowie Major Lindsthal,
  • den religiösen Bereich, dargestellt durch Magister Humbrecht und
  • die weltliche Gewalt, dargestellt durch Gerichtsdiener und Fiskal.

Die soziale Stellung der Figuren zeigt sich primär sprachlich. Während Gröningseck immer wieder hochgestochene französische Floskeln in seine Sätze einfließen lässt, sprechen gerade kleinere Rollen mit elsässischem Dialekt.

Das Elsass ist eine Region im Nordosten Frankreichs und grenzt an Deutschland.

Charakteristisch für den elsässischen Dialekt ist der Einfluss des Französischen auf den Wortschatz. Das folgende Zitat zeigt, wie die Wirtin im ersten Akt mit Marianel spricht:

So mach fort! – marsch! die Bouteillen können noch stehn bleiben. – Wenn er nach der Zech frägt – anderthalb Louisdor –

In diesem Textauszug sagt die Wirtin, dass die Flaschen noch stehen bleiben können und nennt Marianel den Preis für die Getränke und Speisen, den sie abrechnen soll.

Alle Zitate stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus Heinrich Leopold Wagners "Die Kindermörderin" (1986, Reclam Verlag).

In "Die Kindermörderin" lassen sich 80 Aposiopesen finden, von denen lediglich 20 ergänzt werden. Der Abbruch des Satzes erfolgt dabei planmäßig. Aposiopesen verleihen dabei der expressiven Sprache der Epoche Sturm und Drang Ausdruck und werden im Drama verwendet, um den Gefühlsausbrüchen mehr Gewicht beizumessen.

Im folgenden Zitat bekräftigt Gröningseck gegenüber seinem Freund Hasenpoth Evchens Tugend, mittlerweile selbst entsetzt von dem, was er ihr angetan hat. Charakteristisch für Aposiopesen sind die Gedankenstriche.

Ja, ja! Teufel! ich hab; – hab deinen vermaledeyten Lehren gefolgt, aufs Haar gefolgt! – hab – wenn dus denn doch wissen willst – einen Engel entheiligt, mich mir selbst zum Scheusal gemacht.

Eine Aposiopese ist eine Sonderform der Ellipse.

Als Ellipse bezeichnet man das Auslassen von Satzteilen. Der Satz wird verkürzt und ist somit grammatikalisch nicht mehr vollständig. Unwichtige Teile des Satzes werden dabei weggelassen, um den Inhalt stärker zu betonen.

Bei einer Aposiopese wird der Satz abgebrochen und der letzte Teil des Gesagten durch eine Pause ersetzt. Dieser Abbruch kann starken Emotionen geschuldet sein oder einer Drohung Ausdruck verleihen.

"Die Kindermörderin" – Interpretationsansätze

Gesellschaftskritik

Mit seinem Drama "Die Kindermörderin" greift Wagner die sozialen Missstände seiner Zeit an und übt deutliche Gesellschaftskritik. Das zeigt sich vor allem, wenn das Duellieren im Werk diskutiert wird. Offiziell war es verboten, Duelle auszutragen, junge Soldaten sahen sich allerdings immer wieder in der Position, ihre Standesehre zu verteidigen. Daher gehörten Duelle nach wie vor zur gängigen Praxis.

Ein Duell ist eine physische Auseinandersetzung zwischen zwei Männern der adeligen Oberschicht und wird mit tödlichen Waffen ausgetragen. Duelle enden dabei auch stets tödlich. Sie dienen der Wiederherstellung der Ehre.

Soldatenehre

Im 18. Jahrhundert waren hauptsächlich junge Männer als Soldaten tätig. Es war nicht unüblich, dass sie bei bürgerlichen Familien untergebracht wurden. Immer wieder kam es zu Verbindungen zwischen den Töchtern des Hauses und den Soldaten. Ungewollte und außereheliche Schwangerschaften häuften sich dabei. Die jungen Frauen wurden sowohl mit dem ungeborenen Kind als auch mit dem Verlust ihrer Ehre allein gelassen. Mit finanzieller Unterstützung oder gar einer Heirat konnten sie nicht rechnen.

Vor dem Hintergrund der Soldatenehre kann die Wandlung, die Gröningseck im Verlauf des Dramas durchläuft, interpretiert werden. Anfangs tritt er als leichtlebiger Soldat auf, der auf sein eigenes Vergnügen bedacht ist, während er später fest entschlossen ist, Evchen tatsächlich zu heiraten.

Stellung der Frau

Die Schande der ungewollten Schwangerschaft wurde dabei ausschließlich den jungen Frauen angelastet. Die Soldaten hatten keinerlei Konsequenzen zu befürchten. In den meisten Fällen waren sie ohnehin schon weitergezogen. Wagner zeigt dieses Grundproblem plakativ durch die Figur des Leutnants von Hasenpoth. Die verachtende Haltung eines Soldaten gegenüber einer bürgerlichen Geliebten war zu dieser Zeit keine Seltenheit. In einigen Fällen führte die Verzweiflung der jungen Frau zu einer Tötung des Neugeborenen.

"Die Kindermörderin" – Epoche des Sturm und Drang

Die Autoren des Sturm und Drang sind junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Ganz bewusst lehnten sie sich gegen die vorangegangene Epoche der Aufklärung auf. Das im Sturm und Drang gefeierte Originalgenie sah sich keinen Regeln unterworfen. So ist es nicht verwunderlich, dass Wagners Stück mit der klassischen Gliederung in fünf Akte und der Zeitordnung von einem Tag bricht.

Das Originalgenie bricht mit den starren Vorschriften der Aufklärung und schreibt nach seinen eigenen Wünschen und Regeln. Die freie Entfaltung seiner Selbst ist das oberste Ziel des Originalgenies.

Das Motiv der verführten Unschuld und des Kindsmords war eines der zentralen Motive der Epoche des Sturm und Drang. Dieses Motiv ließ sich nutzen, um die moralische Verkommenheit des Adels darzustellen und um die harten Strafen des Justizsystems zu kritisieren.

So stellt Wagner die Protagonistin seines Dramas als Opfer der damals geltenden Verhältnisse dar. Evchen Humbrecht zeigt sich im Verlauf des Stücks passiv und trägt keine Schuld an dem Schicksal, das sie ereilt.

Die ausdrucksstarke Sprache des Sturm und Drang zeigt sich auch in Wagners Drama. "Die Kindermörderin" ist durchzogen von Ausrufen, halben Sätzen und einer Unmenge an Aposiopesen. Gefühlsausbrüche und flammende Reden gegen Bestehendes sind ebenfalls ein Teil davon.

"Die Kindermörderin" – Heinrich Leopold Wagner

Heinrich Leopold Wagner wurde am 19. Februar 1747 als Sohn eines mittellosen Kaufmanns in Straßburg geboren und verstarb am 4. März 1779 im Alter von 32 Jahren in Frankfurt am Main an Lungentuberkulose.

Wagner studierte zunächst Theologie, brach das Studium jedoch ab, um sich der Juristerei zuzuwenden. 1771 musste er das Studium aus finanziellen Gründen ohne Abschluss vorzeitig beenden. Danach arbeitete er als Hofmeister, ehe er sein Jurastudium wieder aufnehmen konnte. In dieser Zeit erschienen seine ersten Werke, darunter "Die Reue nach der Tat" (1775). Ab 1776 war Wagner als promovierter Anwalt tätig.

Ein Hofmeister ist ein Hauslehrer, der auch außerhalb des schulischen Bereichs für die Betreuung der Kinder verantwortlich war.

Er war ein Schriftsteller aus dem deutschen Raum und schrieb zur Zeit des Sturm und Drang. Wagner pflegte Kontakt mit mehreren bedeutenden Schriftstellern dieser Epoche, darunter Johann Wolfgang von Goethe und Jakob Michael Reinhold Lenz.

Das 1776 erschienene Drama "Die Kindermörderin" gilt als sein bedeutendstes Werk. Darin übt er Sozialkritik an den gesellschaftlichen Missständen seiner Zeit. Besonders das Problem des Kindsmords im 18. Jahrhundert und die damit verknüpften harten Strafen thematisiert Wagner in seinem Werk. Bis heute zählt "Die Kindermörderin" zu den wichtigsten Werken des Sturm und Drang.

"Die Kindermörderin" – Historischer Kontext

Im Frühmittelalter wurden Kinder noch nicht als voll rechtsfähig eingestuft, somit war die Tötung eines Neugeborenen verglichen, mit der Tötung einer voll rechtsfähigen Person milder zu bewerten. Diese Ansicht hat sich bereits im Spätmittelalter gewandelt. Da einem ungetauften Kind das ewige Seelenheil verwehrt wurde, galt der Kindsmord als eine der schlimmsten Straftaten überhaupt. Die Strafen für einen begangenen Kindsmord waren grausam und hart.

Der Tod war im Mittelalter allgegenwärtig und alltäglicher Bestandteil des Lebens. Die Menschen waren immer wieder damit konfrontiert. Die Kirche prägte dabei das Leben der Menschen, denn nur über die Kirche war ein Weg in Gottes Reich möglich. Einem ungetauften Kind wurde dieser Weg auf ewig verwehrt.

Erst 1740 setzte ein Wandel ein. Die Strafen, die Kindsmörderinnen erwarteten, wurden als zu hart und menschenunwürdig eingestuft. Die strafrechtliche Praxis blieb allerdings bis 1770 bestehen. Erst in dem im Jahr 1813 erschienenen bayrischen Strafgesetzbuch wurde die Todesstrafe endgültig abgeschafft und Mütter, die sich eines Kindsmords schuldig gemacht hatten, zum Zuchthaus auf unbestimmte Zeit verurteilt.

Bei einem Zuchthaus handelt es sich um eine psychiatrische Verwahrung der Täterinnen auf unbestimmte Zeit.

Die Hochzeit des Kindsmords war um 1780. Das von Wagner verfasste Drama spiegelt also eines der akuten Probleme seiner Zeit wider.

Wagners Werk beruht auf wahren Begebenheiten. Der historische Hintergrund seines Dramas ist der Fall Sophie Leypold aus dem Jahr 1775. Sophie Leypold wurde zum Tod durch das Schwert verurteilt, dann begnadigt und in ein Gefängnis gebracht, aus dem sie vorzeitig entlassen wurde. Verglichen mit der Protagonistin aus Wagners Drama konnte Sophie Leypold lediglich eine unter Verschluss gehaltene Schwangerschaft mit Totgeburt zur Last gelegt werden, kein aktiv begangener Kindsmord.

Die Kindermörderin - Das Wichtigste

  • "Die Kindermörderin" ist Heinrich Leopold Wagners bekanntestes Werk. Aufgrund der Brisanz des Themas wurde "Die Kindermörderin" 1776 zunächst anonym veröffentlicht.
  • Wagner übt in seinem Drama heftige Kritik an den sozialen Missständen seiner Zeit.
  • Dabei kritisiert er die Trennung von Adel und Bürgertum und prangert die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft an.
  • In "Die Kindermörderin" wird Evchen Humbrecht von Leutnant Gröningseck vergewaltigt und geschwängert. Er verspricht, sie zu heiraten, allerdings kommt Hasenpoth dazwischen und Evchen fällt seiner Intrige zum Opfer. Am Ende tötet sie ihr eigenes Kind aus Verzweiflung.
  • "Die Kindermörderin" spielt in Straßburg, vor allem sprachlich orientiert sich Wagner am Handlungsort und bedient die Alltagssprache seiner Zeit.
  • Das Motiv des Kindsmords ist eines der zentralen Motive der Epoche des Sturm und Drang.

Häufig gestellte Fragen zum Thema Die Kindermörderin

In "Die Kindermörderin" wird Evchen Humbrecht, eine junge Frau aus dem Bürgertum, von einem adeligen Offizier vergewaltigt und geschwängert. Er verspricht, sie innerhalb von fünf Monaten zu heiraten. Evchen fällt einer Intrige zum Opfer, die dazu führt, dass sie ihr eigenes Kind am Ende des Dramas aus Verzweiflung tötet.

"Die Kindermörderin" gehört zum Sturm und Drang, da Wagner mit dem Kindsmord eines der zentralen Motive der Zeit bediente. Evchen wird als Opfer der damals geltenden Verhältnisse dargestellt und zeigt sich im Verlauf des Stücks passiv. Auch die ausdrucksstarke Sprache der Epoche zeigt sich durch Ausrufe, halbe Sätze und Aposiopesen (bewusster Satzabbruch). 

Wagner übt in "Die Kindermörderin" heftige Kritik an den sozialen Missständen seiner Zeit. Dabei prangert er insbesondere die Trennung von Adel und Bürgertum, aber auch die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft an.

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