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Expressionismus in der Kunst – Definition & Zeitraum
Der Expressionismus ist eine kunsthistorische Epoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa. Genau lässt sich die Epoche nicht datieren, die ersten expressionistischen Ansätze und Werke entstanden allerdings schon Ende des 19. Jahrhunderts. Dennoch ordnet man den Expressionismus ungefähr in die Zeit zwischen 1905 und 1925 ein. Die Epoche verbreitete sich in Frankreich und vor allem in Deutschland, wo sich ihm zwei Gruppen von Künstlerinnen und Künstlern widmeten.
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Der Name "Expression" kommt aus dem lateinischen expressio und bedeutet "Ausdruck". Der Ausdruck oder besser gesagt der innere Ausdruck der Gedanken- und Gefühlswelt ist das elementare Gestaltungsmittel der Expressionistinnen und Expressionisten.
Der Expressionismus zählt zu den Strömungen der Klassischen Moderne und stellt sich ähnlich wie andere Strömungen dieser Zeit gegen die Vorstellungen der naturalistischen Arbeit. Künstlerinnen und Künstler malten nicht die Realität, wie sie sie vor ihren Augen vorfanden, sondern konzentrierten sich auf ihren inneren Ausdruck. Bildlich zeigt sich dies in Form von starken Farben, Formen und Kontrasten. Die Expressionistinnen und Expressionisten brachen damit mit den traditionellen künstlerischen Vorstellungen.
Als Klassische Moderne bezeichnet man zusammenfassend die kunsthistorischen Strömungen und Stile, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst bestimmten und bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten anhielten. Darunter zählen beispielsweise der Fauvismus, der Kubismus, der Expressionismus, der Futurismus oder auch der Konstruktivismus. Sie alle teilen die Charakteristik, traditionelle Gestaltungsmittel aufzubrechen und an die Idee eines Fortschritts zu glauben. Oftmals wird auch der Begriff "Avantgarde" verwendet.
Um Dich in das Thema zu vertiefen, schau dir gerne die Erklärungen zum "Futurismus", "Kubismus" und "Konstruktivismus" an!
Historischer Hintergrund
Der Expressionismus entstand in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs vor dem Ersten Weltkrieg. Deutschland befand sich zu der Zeit mitten in der Hochindustrialisierung. Viele Menschen zogen in Großstädte, um dort zu arbeiten. Es erfolgte ein Bevölkerungswachstum und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößerte sich immer mehr. Soziale Krisen, Einsamkeit und die Entfremdung von der Natur charakterisierten diese Zeit. Die andauernden politischen Spannungen des Imperialismus, der Balkankrise und schließlich der Juli-Krise 1914 führten zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Als Industrialisierung bezeichnet man eine Zeit in Europa, in der sich viele Staaten von einem landwirtschaftlich geprägten Staat zu einem Industriestaat entwickelten. Durch neu geschaffene Arbeitsplätze in Werkhallen der Industrie zogen viele Menschen in die Großstädte. Den Arbeitern ging es durch geringe Löhne und miserable Arbeitsbedingungen sehr schlecht. Diese Missstände werden auch "Soziale Frage" genannt.
Der Krieg wurde zunächst von vielen Künstlerinnen und Künstlern als Chance gesehen, aus dem Materialismus und der starren Gesellschaft auszubrechen. Unter den Scharen an Freiwilligen, die sich zum Kriegsdienst meldeten, waren auch einige Künstler. Die baldige Einsicht über die Brutalität und die Ausmaße des Krieges ließ viele jedoch aus ihrem Traum erwachen und die bittere Wahrheit erkennen. Nach dem Kriegsende 1918, klang die künstlerische Schaffensphase der Expressionistinnen und Expressionisten langsam ab.
Zeitgeist
Die expressionistische Kunst war in vielerlei Hinsicht eine Antwort auf die gesellschaftlichen und politischen Strukturen der damaligen Zeit. Sie war ein Protestakt gegen das Bürgertum im Deutschen Kaiserreich, die Industrialisierung und später auch gegen den Krieg. Die Regierung und das wohlhabende Bürgertum profitierten von dem bislang herrschenden gesellschaftlichen System und hatten daher eine negative Sicht auf die expressionistische Kunst. Sie bezeichneten diese als "entartet".
Im Expressionismus stand der Mensch als Individuum mit all seinen Gefühlen und innerem Leben im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit. Der Mensch sollte nicht ein kleines Zahnrad in einer immer funktionierenden industriellen Gesellschaft sein, sondern seine eigene Individualität betonen dürfen.
Ursprung & Entstehung des Expressionismus in der Kunst
Erste expressionistische Arbeiten zeigten sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Als wichtige Vorläufer sind die Künstler Vincent Van Gogh, Paul Gauguin, Paul Cézanne und Edvard Munch zu nennen. Alle vier waren große Maler des späten 19. Jahrhunderts und werden häufig als Urväter der Moderne genannt, da sie wichtige Grundsteine für die Entwicklung der modernen Kunst legten.
Van Gogh und Munch experimentierten in ihren Werken mit leuchtenden Farben und suchten damit, wie später auch die Expressionisten, nach einem inneren seelischen Ausdruck und emotionaler Wahrheit. Nicht mehr die Abbildung der Realität stand im Vordergrund, sondern die Einarbeitungen der persönlichen Gefühle der Künstlerinnen und Künstler. Gleichzeitig sollten aber auch die Betrachtenden emotional angesprochen werden. Bereits in der Epoche der Romantik (1800 -1840) war dieses Gedankengut entstanden. Der berühmte romantische Künstler Caspar David Friedrich meinte dazu einst:
Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz.
(Caspar David Friedrich, ca. 1830)
Im Expressionismus häufen sich die Parallelen zur kunsthistorischen Epoche der Romantik. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besannen sich, ähnlich wie im Expressionismus, viele Künstlerinnen und Künstler wieder auf das Ich, das Gefühl und den inneren Ausdruck. Die Abwendung von der Realität steht im Vordergrund sowie der Rückzug in das eigene Innere. Damals war die Kunst der Romantik eine Antwort auf die Ideen der Aufklärung und Rationalisierung. Im Expressionismus kritisierten die Künstlerinnen und Künstler den Materialismus der Industrialisierung. Formal unterscheiden sich die Stile der Romantik und des Expressionismus jedoch. Kunstschaffende der Romantik malten näher an der Realität und hielten ihre Farben auch weitestgehend gedeckter im Vergleich zum Expressionismus.
Um Dich in das Thema zu vertiefen, schau Dir gerne den Artikel "Romantik" an!
Edvard Munchs Werk "Der Schrei" ist ein Beispiel für das Ansprechen von Emotionalität. Es versetzt die Betrachtenden angesichts der schrillen Farben und der verzogenen Formen in Angst und Entsetzen. Auch wenn Munch selbst nicht zu den Vertretenden des Expressionismus gezählt wird, gilt "Der Schrei" als weltweit erstes expressionistische Werk. Es beeinflusste die deutschen Künstlerinnen und Künstler nach der Jahrhundertwende nachhaltig.
Die Expressionistinnen und Expressionisten standen der vorhergegangenen Epoche, dem Impressionismus (19. Jahrhundert), kritisch gegenüber. Sie empfanden die impressionistische Malweise als zu flüchtig und die Wirkung als zu oberflächlich. Die impressionistische Kunst hatte ihrer Ansicht nach keinem subjektiven Ausdruck, also keine Bildaussage. Demnach suchten die Kunstschaffenden des Expressionismus nach neuen modernen Ausdrucksmitteln und Gestaltungselementen, um ihrer inneren Welt in ihrer Kunst Wirkung zu verleihen.
Der Fauvismus und Henri Matisse
Im Jahr 1905 bildete sich in Paris eine Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler, deren Bilder geprägt waren von Farbigkeit, starker Pinselführung, kraftvollen Linien und verzerrten Formen. Sie erzeugten damit einen Skandal und wurden von der Kritik abwertend "Les Fauves", zu deutsch "Die Wilden / die Biester" genannt. Später entwickelte sich dieser Spottname zu dem Kunststilbegriff "Fauvismus".
Der Fauvismus war die erste Kunstbewegung der Klassischen Moderne. Sie beeinflusste die nachfolgenden Kunstströmungen und gilt als Vorläufer dieser. Man findet einige Parallelen zwischen dem Fauvismus und dem Expressionismus, weswegen der Fauvismus auch als Vorreiter für den Expressionismus gilt.
Die Fauvisten malten instinktiv und ihrem Gefühl folgend. Dabei waren ihre Themen meist einfach: Sie bevorzugten Landschaften, Akte oder Stillleben.
Bekannte Maler des Fauvismus waren Henri Matisse, André Derain und Maurice Vlaminck. Matisse kann man als Gründer oder Kopf der Malergemeinschaft ansehen, in seinen Werken entfernt er sich vom Naturvorbild (Abstraktion) und übersteigert seinen Gefühlsausdruck mit Farben und Formen (Expression).
Im folgenden Werk von Matisse aus dem Jahre 1908 zeigt sich sein Hang zu expressiven Farben und Farbkontrasten (Kalt-Warm-Kontrast, Komplementärkontrast, Quantitätskontrast).
Mehr über das Thema Farbkontraste erfährst Du in der Erklärung "Farbigkeit und Farbkreis"!
Abbildung 2: Beispielwerk des Fauvismus
Henri Matisse: "The Dessert: Harmony in Red (The Red Room)" (1908)
Öl auf Leinwand, 180 cm × 220 cm
Hermitage Museum, St. Petersburg
Expressionismus in der Kunst – Deutschland
Der Fauvismus in Frankreich schlug dominierende Richtungen in der Kunst ein, jedoch löste sich die Künstlergruppe rund um Henri Matisse schon nach drei Jahren auf. In Deutschland kam derweil die expressionistische geistige Bewegung an. Dort wurde der Expressionismus von zwei Kunstgruppen maßgeblich geprägt:
- "Die Brücke"
- "Der Blaue Reiter".
Der Expressionismus entfaltete sich in Deutschland und bestimmte dort weitreichend die Kunst bis in die 1920er-Jahre.
Die "Brücke" - Der norddeutsche Expressionismus
Die "Brücke" war ein deutscher Künstlerbund des Expressionismus und wurde 1905 in Dresden gegründet. Bekannte Maler waren Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Emil Nolde. Wie die Fauvisten lehnten die Kunstschaffenden die konservative akademische Malerei ab — sie hielten sie für zu veraltet.
Bedeutende Inspiration für die Künstler der "Brücke" war Edvard Munch. In vielen Werken der "Brücke" lässt sich eine düstere Farbigkeit und eine Härte im künstlerischen Ausdruck, ähnlich wie in Munchs Werken, finden.
In Kirchners Werk "Böhmischer Waldsee" entsteht durch den Einsatz von dunklen Farbtönen eine depressive Grundstimmung. Die Malweise ist instinktiv, nahezu ekstatisch. Das Werk löst Gefühlszustände von Angst oder Sehnsucht aus. Neben der Malerei wurden im Expressionismus auch einige Holzschnitte angefertigt, die mit ihren markanten Zügen ebenso ausdrucksstark wirken.
In den Werken der "Brücke" geht es thematisch oftmals um den Menschen. Der Mensch ist Opfer der Modernisierung und Technisierung, einsam in einer kapitalistisch-gesteuerten Gesellschaft. Das aufkommende Gefühl dieser Umstände übertragen die Expressionisten der "Brücke" ohne Vorüberlegung auf die Leinwand. Sie sind der Auffassung, dass der wahre Ausdruck nur spontan und ohne Einbezug des Verstandes geschaffen werden kann.
Der "Blaue Reiter" — Der süddeutscher Expressionismus
Beim "Blauen Reiter" handelte es sich weniger um eine Künstlergruppe wie bei der "Brücke", sondern um einen lockeren Bund von Malerinnen und Maler in München. 1911 riefen die Künstler Franz Marc und Wassily Kandinsky diesen Bund ins Leben. Ihnen schlossen sich Künstler wie Alfred Kubin, Gabriele Münter, August Macke, Heinrich Campendonk und Alexej von Jawlensky an. In die Öffentlichkeit trat die Gruppierung durch die Herausgabe eines Almanachs von Kandinsky und Macke namens "Der Blaue Reiter".
Im Almanach, der auch als Testament der neuen Kunst angesehen wurde, wurden die Ideen der modernen Kunst niedergeschrieben. Die Fauvisten und vor allem Henri Matisse werden angesprochen und als Vorbild gesehen. Auch die "Brücke" wird thematisiert.
Woher der Name "Blaue Reiter" ursprünglich kommt, ist nicht eindeutig geklärt. Kandinsky und Macke behaupteten, dass sie die Farbe Blau und Pferde mochten. Betrachtet man den Namen symbolisch, so kann der Reiter mit der Aufbruchstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbunden werden. Die Farbe Blau steht farbsymbolisch für Emotionalität und Sehnsucht.
Ähnlich wie bei den norddeutschen Expressionisten geht es bei den Künstlerinnen und Künstlern des "Blauen Reiters" um die Abbildung der inneren Sicht auf die Realität. Die Kunstschaffenden beschäftigten sich bei der Arbeit intensiv mit der Realität vor ihren Augen und verschmolzen dabei mit ihr. Gemalt wurde die von ihnen erfühlte Realität.
Anders als bei den Mitgliedern "Brücke" findet man bei den süddeutschen Werken einen geringeren Hang zum Düsteren. Außerdem sind sie weniger politisch und gesellschaftskritisch, stattdessen setzen sie sich eher mit Spiritualität auseinander.
Thematisch finden sich im Expressionismus häufig Bildnisse der Natur. Die Kunstschaffenden versuchen, eine Einheit zwischen Natur und Mensch herzustellen. Diese Vorstellung hat auch einen religiösen Bezug. Da viele der expressionistischen Künstlerinnen und Künstler nicht an eine Konfession gebunden sind, suchen einige von ihnen über die Natur einen Weg zu Gott.
Schon nach drei Jahren zerbrach die Künstlervereinigung. Wassily Kandinsky ging nach Russland zurück, Gabriele Münter zog nach Norwegen, Franz Marc und August Macke fielen im Ersten Weltkrieg. Trotz ihrer kurzen gemeinsamen Schaffensphase entstanden viele Kunstwerke in der Verbindung des "Blauen Reiters". Gleichzeitig schafften die Künstlerinnen und Künstler die Grundlage für die abstrakte und ungegenständliche Malerei.
Unter abstrakter Kunst bzw. abstrakter Malerei versteht man die Darstellung von Objekten oder Lebewesen, die auf eine bestimmte Art abstrahiert wurden. Mithilfe von Formen, Farben oder Kompositionen werden die Bildmotive verfremdet gemalt. Dadurch erkennt man zwar noch, worum es sich in einem Werk handelt, die Nähe zur Realität wird jedoch aufgehoben. Sofern die Objekte oder Lebewesen nicht eindeutig identifizierbar sind, spricht man auch von ungegenständlicher Kunst.
Franz Marc (1880 - 1916)
Franz Marc war Künstler und Mitbegründer der Künstlergemeinschaft "Blaue Reiter". Sein Werk ist geprägt von einem engen Kontakt zur Natur. Vor allem Tierbildnisse findet man bei ihm häufig. Tiere leben im Einklang mit der Natur, sie sind nicht vom Verstand verdorben, sondern leiten sich von ihrem Instinkt.
Inspiriert von den Fauvisten entschied Marc sich für eine selbstbestimmte Farbigkeit in seinen Bildern. Die Farbe gewinnt an Eigenleben und muss nicht der Farbe der Natur entsprechen. So entstehen Werke mit blauen Pferden, gelben Katzen oder roten Stieren.
Durch den nahen Kontakt zu Kunstschaffenden des Kubismus, vereinfacht Marc seine Darstellungen zu kubischen Formen. Tiere werden durch geometrische Formen zusammengesetzt und haben oftmals markante Züge. Die Bilder werden ungegenständlich. Farbflächen und geometrische Formen dominieren die Bildgestaltung und abstrahieren die Bilder. Auf Begrenzungslinien zwischen Formen und Gegenständen wird verzichtet, wodurch die Bilder unschlüssiger werden. Zu Kriegsbeginn, also Marcs letzter Schaffensperiode, entstehen erste abstrakte Bilder, die sich weitestgehend gänzlich von Gegenständlichkeit entfernen.
Wassily Kandinsky
Kandinsky wuchs in Moskau auf und plante zunächst eine wissenschaftliche Karriere. Mit 30 Jahren entschied er sich um und konzentrierte sich auf die Kunst. Dafür wanderte er aus Russland aus und kam nach München, wo er seine Lebensgefährtin Gabriele Münter kennenlernte. Beide lebten seit 1908 im sogenannten "Russenhaus", wo die Künstlervereinigung "Blauer Reiter" zusammenkam.
Seine Arbeit wurde zunächst durch den Impressionismus inspiriert. Bei einer Ausstellung wurde ihm bewusst, welche Kraft die ungegenständliche Kunst und selbstständige Farbe haben können. In den folgenden Schaffensjahren entfernte er sich immer weiter von der sichtbaren Natur. Gegenständliche Darstellungen lassen sich von da an immer weniger in seinen Bildern finden. 1910 malt Kandinsky sein erstes reines abstraktes Bild:
Auch wenn er die Natur nicht direkt malte, ist eine innige Beziehung zu ihr elementar für seine Malerei. Sein Arbeitsprozess sah wie folgt aus: Die äußere Naturwahrnehmung dringt in ihn ein. Dort entsteht ein Erkenntnisprozess; Farben und Formen lösen "seelische Resonanzen" in ihm aus. Diese sind dann Grundlage für seine künstlerische Arbeit.
1911 brachte Kandinsky das Buch "Über das Geistige in der Kunst“ heraus. In diesem erklärt er seine Kunstauffassung und seine Beziehung zu Farbe und Form. Er schreibt, dass Farben und Formen für ihn selbstständige Komponenten einer Komposition seien. Die Betrachtung von Kunst ist für ihn nicht ein reines Seherlebnis. Seine Wahrnehmung und vor allem seine Farbwahrnehmung geschehe laut ihm auch über seinen Tast- und Hörsinn. Das nennt man auch Synästhesie.
Die Synästhesie ist eine Wahrnehmung äußerlicher Gegebenheiten durch ein Sinnesorgan, wobei parallel auch die Sinnesreizung eines anderen Organs im Gehirn stattfindet. Es kommt zu einer Kopplung von zwei Sinneswahrnehmungen, die normalerweise getrennt voneinander wahrgenommen werden. Nimmt ein Mensch also über das Sehen eine Farbe wahr, hat er automatisch auch eine Sinneswahrnehmung mit einem zweiten Sinn, zum Beispiel Hören. Dann spricht man beispielsweise von "Farben hören".
Kandinskys abstrakte Bildern haben eine starke dynamische Wirkung. Formen, Farben und Linien wirken gegen- und miteinander, sie scheinen nahezu in einen Kampf verwickelt zu sein. Dennoch lässt sich in Bezug der Elemente zueinander ein Ausgleich finden, der nahezu eine Harmoniewirkung ermöglicht.
Nachdem Kandinsky 1914 wieder nach Russland zurückgekehrt war, nähert er sich getrieben durch das totalitäre Regime der Sowjetunion 1922 wieder Deutschland und der Bauhaus-Bewegung in Weimar an. Zur Zeit des Nationalsozialismus musste er Deutschland verlassen und lebte von dort an in Paris. Kandinsky wurde zum Vorbild vieler Künstlerinnen und Künstler des abstrakten Expressionismus, darunter Jackson Pollock.
Um mehr darüber zu erfahren, lies Dir gerne den Artikel "Abstrakter Expressionismus" durch!
Merkmale & Bildinhalte des Expressionismus in Kunst
Wie in allen Kunststilen und Epochen lassen sich nicht immer eindeutige Merkmale festhalten. Der Expressionismus kann als ein inneres Verständnis der einzelnen Künstlerinnen und Künstler beschrieben werden. In dieser Epoche wird eine eigene Wirklichkeit sowie damit einhergehende eine innere, individuelle Wahrheit im Werk geschaffen.
Expressionistische Malerei
In der Malerei wurde der Expressionismus von vielen Kunstschaffenden vielfältig ausgelebt. Ein wesentliches Merkmal ist dabei die Verwendung von Farben. Häufig werden zur Ausdruckssteigerung bunte und auffällige Farben benutzt. Durch die farblichen Kombinationen können wirkungsvolle Farbkontraste entstehen:
- Farbe-an-sich-Kontrast
- Komplementärkontrast
- Kalt-Warm-Kontrast
- Quantitätskontrast
- Qualitätskontrast
- Simultankontrast
Mehr über Farben und Farbkontraste findest du in den Artikeln "Farbkreis" oder "Farbenlehre".
Die Farben werden oftmals in abstrakten und geometrischen Formen abgebildet. Diese zeigen häufig markante und verzerrte Züge und werden ohne spezielle Kompositionsüberlegungen angeordnet. Der Bildaufbau scheint undurchdacht zu sein und folgt keinen traditionellen Kompositionsrichtlinien. Unterstützt wird dies durch einen spontanen und instinktiven Malstil und einer schnellen Pinselführung.
Einige Formen von Gesichtszügen in expressionistischen Werken erinnern an Masken und Figuren aus Afrika und Ozeanien. Im 19. Jahrhundert erreichten viele dieser kulturellen Objekte durch Ausbeutung und Diebstahl der Kolonialisierung Zentraleuropa. Viele expressionistische Künstlerinnen und Künstler sahen in diesen Objekten eine Quelle der Inspiration. Sie hielten sie für Kunstobjekte der "primitiven" und "instinktiven" Kunst aus Übersee und damit für Kunstwerke mit höchster Ausdruckskraft.
Durch die Abwendung vom Gegenständlichen entfernen sich die expressionistischen Gemälde von klassischen Perspektiven wie der Zentral- oder Fluchtpunktperspektive. Werke verlieren an Räumlichkeit, die Perspektive wirkt flächenhaft und vereinfacht.
In Kirchners Werk "Alpküche" von 1918 lassen sich einige typische Merkmale des Expressionismus finden.
- Kirchner benutzt ausdrucksstarke und bunte Farben.
- Durch die Farbkombinationen entstehen Farbkontraste wie der Farbe-an-sich-Kontrast, der Komplementärkontrast oder der Quantitätskontrast.
- Die Pinselführung lässt sich durch den Farbauftrag erahnen und wirkt instinktiv.
- Die Räumlichkeit wird durch die Verwendung von mehreren und unklaren Fluchtpunkten verzerrt.
Abbildung 7: Merkmale des Expressionismus
Ernst Ludwig Kirchner: „Alpküche“ (1918)
Öl auf Leinwand, 121,5 × 121,5 cm
Museum Thyssen-Bornemisza, Madrid
Bildmotive und Themen
Die Expressionistinnen und Expressionisten malten Werke in Gattungen wie der Landschaftsmalerei, Porträtmalerei und Stilllebenmalerei. Häufige Motive sind beispielsweise Tiere und Naturumgebungen, Stadtszenen und Räumlichkeiten. Oft werden Themen wie Leben und Tod bzw. Vergänglichkeit sowie die Gefühls- und Gedankenwelt der Menschen behandelt.
Expressionistischer Druck und Holzschnitt
Eine Technik mit der sich einige Kunstschaffenden des Expressionismus und vor allem Anhängerinnen und Anhänger der "Brücke", auseinandersetzten ist der Holzschnitt. Bei dieser Hochdruck-Technik werden mit unterschiedlichen Schnittwerkzeugen wie Holeisen und Messern reliefartig Teile aus einer Holzplatte herausgeschnitten. Anschließend wird auf die erhabenen Stellen Farbe aufgetragen. Diese werden auf ein Papier gedruckt, wodurch ein seitenverkehrter Abdruck entsteht.
Die deutschen Expressionistinnen und Expressionisten reizte bei dieser Technik vor allem die Arbeit mit dem Holzmaterial. Verschiedene Maserungen oder Härtegrade des Holzes führten zu unterschiedlichen Drucken und erlaubten dabei eine gewisse experimentelle Freiheit. Die Künstlerinnen und Künstler der "Brücke" zeigten bei einer ihrer ersten Ausstellung ausschließlich Holzdrucke.
In diesem Druck von Kirchner erkennt man die Maserungen des Holzblocks, mit dem gedruckt wurde.
Abbildung 8: Expressionistischer Holzschnitt
Ernst Ludwig Kirchner: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte: Kämpfe. Qualen der Liebe“ (1915)
Farbiger Holzschnitt von zwei Holzblöcken auf Papier, Holzblockmaße: 33,2 x 21,8 cm, Papiermaße: 40,9 x 35 cm
National Gallery of Art, Washington D.C.
Expressionistische Plastiken
Plastiken und Skulpturen entstanden im Expressionismus deutlich weniger als Werke der Malerei. Motivation und Ziel der Werkserschaffung waren aber in beiden Gattungen ähnlich. Bei der Erstellung eines dreidimensionalen Werks stand der Ausdruck der inneren Wahrheit und nicht die Abbildung der Realität im Vordergrund.
Auguste Rodin (1840 -1917) gilt als Vorreiter der modernen plastischen Kunst, vor allem der expressionistischen und kubistischen. Er arbeitete entgegen der klassischen akademischen Ideale, ahmte also nicht die Natur nach, sondern versuchte sich an neuen Arbeits- und Darstellungsformen. Sein Stilmerkmal, das Non-finito, inspirierte einige Kunstschaffende nach der Jahrhundertwende. Die Werke wurden fragmentarischer, also lückenhaft und unvollkommen, und eröffneten damit eine neue Formsprache.
Unter dem italienischen Begriff Non-finito ("unvollendet") versteht man in der plastischen Kunst und Bildhauerei ein Werk, das nicht vollendet wurde. Gründe der Nichtfertigstellung können beispielsweise mangelnde finanzielle Mittel oder Zweifel am Werk sein. In der modernen Kunst wurde das Non-finito aber auch vermehrt als absichtliches Stilmittel verwendet.
Im Expressionismus war der Mensch ein zentrales Thema und wurde gerade in der expressionistischen plastischen Kunst zu einem wiederkehrenden Motiv. Ähnlich wie bei Rodin entschieden sich viele Künstlerinnen und Künstler für die Darstellung eines Torsos. Dieser wurde oftmals mit Formgestaltungsmitteln der Deformationen und Abstraktionen oder mit Proportionsabweichungen ausgearbeitet.
Neben klassischen Materialien wie Ton, Bronze oder Stein wurde auch Holz vermehrt verwendet.
Wilhelm Lembruck war ein expressionistischer Bildhauer. In seinen Werken findet sich häufig das Stilmittel der Proportionsabänderung. In diesem Werk beispielsweise hat die Figur überlange Gliedmaßen.
Abbildung 9: Beispiel für expressionistische Plastik
Wilhelm Lehmbruck: „Emporsteigender Jüngling“ (1913/14)
Bronzestatue
Lehmbruck-Museum, Duisburg
Expressionistische Architektur
Nach Ende des Ersten Weltkrieges bis Ende der 1920er Jahre entwickelte sich ein expressionistischer Architekturstil, nach dem in Deutschland fast ausschließlich einzelne Gebäude entstanden. Erstmals wurde damals die Architektur des deutschen Architekten Bruno Taut als "expressionistisch" beschrieben. Später wandte er sich jedoch, wie viele andere expressionistische Architektinnen und Architekten auch, der Bewegung des "Neuen Bauens" zu.
Kennzeichnend für die expressionistische Architektur sind vor allem runde und gezackte Formen, die teils geschwungen miteinander kombiniert werden. Als Baumaterial findet man häufig Backstein oder Beton, was damals noch neu in der Verwendung war. Insgesamt lassen sich expressionistische Bauwerke als Gesamtkunstwerk betrachten, oftmals mit stilistisch passender Innenarchitektur.
Die Architektur des Expressionismus war eine sehr kurze, aber intensive stilistische Phase. Viele der geplanten Entwürfe wurden nie in die Realität umgesetzt.
Ein sehr bekanntes Gebäude des Expressionismus ist der sogenannte "Einsteinturm", der in Potsdam-Babelsberg steht. Hier erkennt man den expressionistischen Architekturstil in der Verwendung von runden Formen, beispielsweise in den rundlichen Tür- und Fensterbögen. Die Formen gehen nahezu fließend ineinander über.
Expressionismus Kunst — Das Wichtigste
- Der Expressionismus ist eine kunsthistorische Epoche, die in Frankreich entstand und sich in Deutschland zwischen 1905 und 1925 entfaltete.
- Die expressionistische Kunst richtete sich gegen die Industrialisierung, gegen das Bürgertum des Deutschen Kaiserreichs und später auch gegen den Ersten Weltkrieg.
- Zu den Wegbereitern des Expressionismus zählen Künstlerinnen und Künstler des späten 19. Jahrhunderts (Vincent Van Gogh, Paul Gauguin, Paul Cézanne und Edvard Munch) und Kunstschaffende des Fauvismus (z.B. Henri Matisse).
- In Deutschland entwickelte sich der Expressionismus maßgeblich in zwei Gruppen: der "Brücke" in Norddeutschland (Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Emil Nolde) und dem "Blauen Reiter" in Süddeutschland (Franz Marc, Wassily Kandinsky, Alfred Kubin, Gabriele Münter, August Macke, Heinrich Campendonk und Alexej von Jawlensky).
- Merkmale der expressionistischen Malerei sind unter anderem die Verwendung von ausdrucksstarken Farben, markanten Formen und die Aufhebung der klassischen Perspektiven.
Nachweise
- Abbildung 1: Erstes expressionistische Werk; Edvard Munch: „Der Schrei“ (1893) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edvard_Munch,_1893,_The_Scream,_oil,_tempera_and_pastel_on_cardboard,_91_x_73_cm,_National_Gallery_of_Norway.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 2: Beispielwerk des Fauvismus Henri Matisse: "The Dessert: Harmony in Red (The Red Room)" (1908) (https://www.flickr.com/photos/gandalfsgallery/4811188791) by Gandalf's Gallery (https://www.flickr.com/photos/gandalfsgallery/) licensed by CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)
- Abbildung 3: Werk von Ernst Ludwig Kirchner ("Die Brücke"); Ernst Ludwig Kirchner: "Böhmischer Waldsee" (1911) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Ludwig_Kirchner,_1911,_Bohemian_Forest_Lake,_81_x_90.6_cm,_Pinakothek_der_Moderne.jpg?uselang=de) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 4: Bekanntes Werk von Franz Marc; Franz Marc: „Blaues Pferd I“ (1911) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Franz_Marc_Blaues_Pferd_1911.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 5: Kandinskys erstes reines abstrakte Gemälde Wassily Kandinsky: Ohne Titel (Erstes abstraktes Aquarell) (1910) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Untitled_(First_Abstract_Watercolor)_by_Wassily_Kandinsky.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 6: abstrakt-expressionistisches Gemälde von Kandinsky Wassily Kandinsky: „Composition VI“ (1913) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vassily_Kandinsky,_1913_-_Composition_6.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 7: Merkmale des Expressionismus Ernst Ludwig Kirchner: „Alpküche“ (1918) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Ludwig_Kirchner_-_Cocina_alpina.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 8: Expressionistischer Holzschnitt Ernst Ludwig Kirchner: „Peter Schlemihls wundersame Geschichte: Kämpfe. Qualen der Liebe“ (1915) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Ludwig_Kirchner,_Peter_Schlemihls_wundersame_Geschichte_-_K%C3%A4mpfe._Qualen_der_Liebe_%28Peter_Schlemihl%27s_Wondrous_Story_-_Battles._The_Agonies_of_Love%29,_1915,_NGA_110094.jpg) (https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/)
- Abbildung 9: Beispiel für expressionistische Plastik Wilhelm Lehmbruck: „Emporsteigender Jüngling“ (1913/14) (https://onlinesammlung.freiburg.de/de/object/Plastik%20-%20Wilhelm-Lehmbruck%20-%20Emporsteigender-J%C3%BCngling/F3E695B2218147E98B8DA48519B19F66#) by Leihgabe aus Privatbesitz | Foto: Axel Killian licensed by CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
- Abbildung 10: Expressionistisches Bauwerk Erich Mendelsohn: „Einsteinturm“ (1920-22) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Einsteinturm_7443a.jpg) by Astrophysikalisches Institut Potsdam
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Expressionismus Kunst
Was sind die Merkmale des Expressionismus?
Merkmale des Expressionismus sind beispielsweise die Verwendung von ausdrucksstarken Farben, Farbkontrasten und markante Formen. Die Pinselführung ist häufig unruhig und klassiche Perspektiven werden aufgehoben.
Was ist Expressionismus einfach erklärt?
Einfach erklärt ist der Expressionismus ein Kunststil, bei dem es um den Ausdruck des Kunstwerkes geht. Die Künstler*innen möchte nicht unbedingt die reale Welt abbilden, sondern ein Werk erschaffen, dass durch seine eigenen Emotionen beeinflusst ist.
Woher kommt der Begriff Expressionismus?
Der Begriff Expressionismus kommt von dem lateinischen Wort "expressio" und bedeutet Ausdruck.
Was bedeutet Expressionismus in der Kunst?
Der Expressionismus ist ein Kunststil, bei dem es um den Ausdruck des Kunstwerkes geht. Die Künstler*innen möchte nicht die reale Welt abbilden, sondern ein Werk erschaffen, dass durch die eigene Emotionen beeinflusst ist.
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